Burmesische Zeitreise


Bahnhof Pyin U Lwin

Als Autorin einer Abschlussarbeit mit dem Titel „The British in India“, die sich auf das Alltagsleben der Briten in der indischen Kolonie beschäftigte, bin ich natürlich auch ein bisschen neugierig, welche Spuren die Briten in Myanmar hinterlassen haben, das zu Britisch-Indien gehörte.
Meine erste Station heißt Pyin U Lwin und liegt nordöstlich von Mandalay. Es ist eine ehemalige britische „hill station“, also ein Rückzugsort in den Bergen, wohin sich die Kolonialherren in den heißesten Monaten verkrochen.

Morgens, halb vier in Mandalay
 Der „Gebrauchsanweisung für Myanmar“ folgend nehme ich den Zug – der geht leider nur einmal täglich, und zwar morgens um vier. Tickets werden auch nicht am Vortag verkauft. Morgens um drei lasse ich mich also vom Nachtwächter meines Hostels zum Bahnhof bringen, muss Pass und Visum vorlegen, um ein Ticket zu kaufen und gehe an schlafenden Menschen auf den Bahnsteigen vorbei zu meinem Zug. Er hat drei Waggons, einer davon „upper class“ (darin sieht es aus wie in einem alten deutschen Zug auch) und zwei „ordinary class“, wo es statt gepolsterten Sitzen nur Holzbänke gibt, ansonsten unterscheiden sie sich nicht groß. Die Lok wird gerade von drei Männern mit Scheinwerfern angehängt. Ich fühle mich wie auf einer Zeitreise. Angeblich sind diese Züge Geschenke aus Korea. Von Diktator zu Diktator… 

Pünktlich um vier ruckeln wir los, auf Schmalspurschienen, an manuell bedienten Weichen vorbei (jeweils ein Mann im longyi mit Taschenlampe oder Handy und grüner Flagge), durch kleine Dörfer. Eine Gruppe Jugendlicher in Jeans und Pokemon-Shirts gesellt sich zu mir, abwechselnd schlafen sie mit den Köpfen auf den Beinen der anderen, bis es nach einem der vielen engen Tunneln plötzlich hell wird und sie Musik auf ihren Handys hören und laut mitsingen. Die sechs Jungs haben ein Paar Kopfhörer und eine Jeansjacke dabei, beides scheint niemand Bestimmtem zu gehören. Langsam geht es bergauf. Einmal halten wir ein paar Minuten, nur um dann rückwärts zu fahren, Schwung zu holen und den Hügel im zweiten Anlauf doch noch zu erklimmen. Anfangs schütteln meine Sitznachbarn noch die Köpfe, als ich frage, ob sie Englisch sprechen, aber nach ein paar Stunden tauen sie auf, fragen mich, woher ich komme, was ich vorhabe, wie es mir bisher in Myanmar gefällt, und so weiter. Sie finden es mutig, dass ich alleine unterwegs bin. Wir werden noch im Zug Facebook-Freunde. Ein Getränkeverkäufer unterhält sich lange mit ihnen, und offenbar möchte Alex mir etwas ausgeben. Da mich weder Red Bull noch ein Energy drink namens „Speed“ besonders ansprechen, läuft der Verkäufer herum, bis er irgendwo eine Dose Cola auftreiben kann.

Nur ein Maisfeld im Dschungel...
 Nach vier Stunden erreichen wir Pyin U Lwin. Allerdings möchte ich erst noch ein Stück weiter fahren, daher steige ich nur kurz aus, um mich umzusehen. Unser Zug bekommt zwei weitere Waggons und eine neue Lok, daher machen wir hier länger Pause. Ich kaufe eine Art fettigen Nusspfannkuchen von einer Frau, die ihren „Bauchladen“ auf dem Kopf trägt und lehne die ebenso undefinierbaren Gebäckstücke der Jungs ab. Sie müssen sich sowieso schon zu sechst vier Stück teilen. Nachher denke ich noch „Da war doch was mit dem street food. Das sollte man doch nicht essen!“, aber ich finde ja, wenn man das street food, von dem man nicht so genau weiß, was es ist, nicht gegessen hat, war man nicht richtig da. Der Bahnhof von Pyin U Lwin hat einen separaten Warteraum für Ausländer. Kinder auf dem Weg zur Schule laufen einfach durch den Zug durch, durch die Tür in Fahrtrichtung links kommen sie rein, gegenüber wieder raus. Man muss keine Angst haben, dass weitere Züge auf den anderen Gleisen vorbeifahren könnten. Und wenn, würde man sie doch schon von weitem sehen, auf burmesischen Gleisen darf man nämlich nur zwanzig fahren. Eine Familie, mit der ich mich kurz am Bahnhof in Mandalay unterhalten hatte, winkt mir zu. 

Frühstückspause in Pyin U Lwin
 Die nächsten drei Stunden geht es weiterhin bergauf, durch den Dschungel, manchmal an Maisfeldern vorbei. Oft wächst der Wald so dicht an die Gleise, dass mir Blätter oder Äste durchs offene Fenster ins Gesicht schlagen. Kurz regnet es, aber die Fenster lassen sich ebenso wenig wie die Türen schließen. Und dann sehen wir es. Das Gokteik-Viadukt. Der Grund, warum ich im Zug sitzen geblieben bin. Das schmale Viadukt führt über eine 111 Meter tiefe Schlucht und wurde 1901 von amerikanischen Ingenieuren im Auftrag der Briten gebaut. Man bewirbt es damit, es hätte über hundert Jahre ohne Wartung überstanden. Na, sehr vertrauenserweckend. Schon eine dreiviertel Stunde bevor wir es erreichen, kann man das wackelige, schmale, 793 Meter lange Stahlkonstrukt sehen. Fünfundvierzig Minuten, um mich schwitzend zu fragen, warum zur Hölle ich mich darauf eingelassen habe. Wir halten schaukelnd an, nach zehn Minuten geht es im Schritttempo auf das Viadukt. Nur nicht zu große Vibrationen verursachen. Alle rennen an die Fenster, auch für die Teenager neben mir ist es die erste Fahrt über die Gokteik-Schlucht, wir fotografieren aufgeregt drauf los. Da wir so langsam fahren, dauert es ziemlich lange, bis wir auf der anderen Seite sind, aber es wackelt deutlich weniger als auf dem Rest der Strecke. Es ist nicht so gruselig, wie ich es mir vorgestellt hatte. 

Das Gokoteik-Viadukt
Alex und Bahadur (so haben sie sich mir vorgestellt, ihre burmesischen Namen könnte ich ohnehin nicht aussprechen, sagen sie), versprechen, mir später auch ihre Videos und Fotos zu schicken. Die Jungs wollen weiter bis nach Lashio, sieben weiter Stunden Fahrt liegen vor ihnen. Diese Zugstrecke ist Teil der „Burma Road“, wo im zweiten Weltkrieg Waffen an die Chinesen geliefert wurden. Die Stadt Lashio ruft bei mir nur Assoziationen hervor mit Drogenhandel, Schlafmohn und der Opiumkönigin Olive Yang, um die sich viele Legenden ranken. Stattdessen steige ich am nächsten Bahnhof, Naungpeng, aus, winke meinen neuen Freunden zu und frage nach einem Taxi. „An der Hauptstraße, ja. Warte, ich fahre dich hin!“ Der Bahnhofsangestellte holt sein Moped und wir düsen los. An der Hauptstraße winkt er einem Taxi, dessen Kofferraum so voll ist, dass mein Rucksack zu ein paar Taschen aufs Dach geschnürt werden muss. Ich setze mich zu einem Pärchen auf der Rückbank, das auf dem Handy eine burmesische Schnulze guckt. An der Tankstelle kauft die Frau auf dem Beifahrersitz Mangostreifen in einer kleinen Plastiktüte und reicht mir ein paar davon nach hinten. Zweites Frühstück.
„Schon wieder!“, denke ich, „das soll man doch nicht machen!“ Aber mein Magen hat offenbar nichts gegen street food.
Eine knappe Stunde später sind wir zurück in Pyin U Lwin.
Da der Taxifahrer keine Ahnung hat, wo sich ein Hostel befindet, auch nicht, als ich ihm Google Maps unter die Nase halte, setzt er mich einfach an einer Straßenecke aus. Zum Glück kommt sogleich ein hilfsbereiter Mopedfahrer angeflitzt, dessen Kumpel Englisch kann, sich die Adresse auf meinem Handy anguckt und den Weg erklärt.
„Sie haben ein Bett im Achterzimmer gebucht, Miss Marina…“, murmelt die Frau am Tresen. „Die Sache ist die, wir haben so etwas hier gar nicht, auch wenn man das auf unserer Homepage buchen kann. Sie bekommen daher jetzt ein Doppelzimmer. Sollte noch jemand wie Sie gebucht haben, bekommen Sie eine Mitbewohnerin, sonst eben nicht. Der Preis bleibt gleich.“
Ach so, und Frühstück können sie leider auch nicht anbieten. Aber es gibt jeden Morgen Toast, Bananen, Kaffee und Tee auf’s Haus.

Über der Schlucht

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