Sunrise, Sunset
Zweihundert Fotos von Pagoden im Sonnenaufgang. Hundert
Fotos von Pagoden im Sonnenuntergang. Spätestens am zweiten Tag in Bagan fragt
sich eigentlich jeder, warum er überhaupt noch fotografiert. Es ist
wunderschön, aber doch auch irgendwie immer das Gleiche.
Die sakralen Gebäude sind fast alle aktiv. Menschen kommen
zum Beten, Meditieren, oder einfach, um sich zu treffen, für Hochzeitsfotos und
Picknicks. Auf dem Weg zum Eingang muss man sich an Souvenirläden vorbeikämpfen
und Ständen für Opfergaben – Blumenketten, Gebetsschals, Räucherstäbchen,
Lebensmittel, Buddhafiguren, Gebetsketten,… von andächtiger Stimmung keine
Spur. Buddhismus im Alltag ist laut, bunt und gesellig.
lächelnder Buddha im Ananda-Tempel... |
...und ernst blickend, wenn man ihm näher kommt |
Alternativ kann man auch ca. 70 Kilometer Richtung Süden
fahren, zum Mount Popa, um den Sonnenuntergang mit einer noch weiteren Aussicht
zu erleben. Auf dem Weg dahin begegne ich zum ersten (und letzten) Mal in Myanmar
Bettlern.
Zuerst denke ich, die Frau winkt einfach. Vielleicht sucht
sie eine Mitfahrgelegenheit. Doch der Mann ein paar Meter weiter streckt auch
die Hand aus, steht aber nicht auf. Alle paar Meter steht jemand mit
ausgestrecktem Arm, abgemagert, ausgezehrt, den longyi unordentlich geknotet,
die Zähne kaputt, die Haut ausgedörrt. Manche Menschen sind so dünn, dass ich
glaube, sie sitzen, weil die Kraft nicht zum Stehen reicht. Alte Männer,
mittelalte Frauen, Kinder, junge Familien. Die Straße zum Mount Popa ist eine
Allee, die statt von Bäumen von hungernden Menschen gesäumt wird. Da die
Buddhisten den Armen spenden, um ihr Karma zu verbessern, eignet sich die
Umgebung eines Wallfahrtsortes natürlich gut zum Betteln. Ein entgegenkommendes
Auto öffnet eine der vier getönten Fensterscheiben einen Spalt weit, es fliegen
Geldscheine heraus. Das Auto hält nicht an.
Der Minivan mit Touristen, in dem ich mich befinde,
schlängelt sich hupend zwischen Marktständen mit Opfergaben und Souvenirs
vorbei, bis er eine Stelle zum Parken findet. Am Fuß des Berges geben wir
unsere Schuhe ab. Die nächsten 737 Höhenmeter haben wir barfuß über Treppen
zurück zu legen. Begleitet werden wir dabei von jeder Menge gieriger Affen und
Kindern und Jugendlichen, die die Stufen von den Affenexkrementen befreien und
um „donation for cleaning“ bitten.
Eigentlich heißt der inaktive Vulkankegel Taung Kalat, und
gilt als Wohnstätte der 37 Nats, einer Art Geister im burmesischen Buddhismus.
Wir haben Glück, weder werden wir von Affen beklaut, noch scheinen wir bei den
Nats in Ungnade gefallen zu sein, und schon nach kurzer Zeit erreichen wir
verschwitzt von den 777 Treppenstufen (ich habe nicht nachgezählt…) den Gipfel
und die Tuyin-Taung-Pagode. Ironischerweise ist die Aussicht hier nicht mehr so
atemberaubend, wenn man schon auf mehrere Gebäude in Bagan geklettert ist, um
von dort den Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang zu beobachten…
Taung Kalat, genannt Mount Popa |
Die Bagan-Ebene ist die touristischste Gegend Myanmars, aber
auch hier ist die Kultur noch unverfälscht. Die Menschen tragen ihre longys und
Thanaka im Gesicht, fahren auf Mopeds oder in Pferdekutschen. In Myanmar kann
man quasi alles anbauen, von Mais bis Guaven, von Kürbis bis Mango. Nur rund um
Bagan ist es ganzjährig zu heiß und zu trocken für den Reisanbau. Trotzdem ist
der natürlich Grundnahrungsmittel. Mittags esse ich mit ein paar Leuten aus dem
Hostel in einem kleinen Lokal an einer Straßenecke. Austauschstudenten aus
Europa, die sich schon früher mal irgendwo auf der Welt begegnet waren und
jetzt von Singapur aus Kurztrips in andere asiatische Länder machen. Für 1000
Kyat (also etwa 70 Cent) pro Person gibt es einen Teller Reis für jeden,
Grüntee, soviel wir wollen, und verschiedenes Gemüse, gebraten, frittiert oder
sauer eingelegt, scharf oder nicht ganz so scharf, wird auf dem Tisch verteilt
und nachgefüllt, bis wir so satt sind, dass wir eigentlich nicht mehr aufstehen
wollen. Auf dem Fernseher über den Tischen läuft „Mission Impossible“ mit
burmesischen Untertiteln. Der hintere Teil des Lokals ist die Wohnung der
Inhaber, Bücher und Kleidungsstücke liegen herum, eine Frau liegt auf einer
Matratze hinter unserem Tisch und döst beim Fernsehen ein. Abends schließe ich
mich einer anderen Gruppe Backpacker an, deren erste Frage lautet, in welches
Land ich denn als nächstes reisen werde. Die meisten hier sind nicht in
Myanmar, sondern in Südostasien unterwegs, monatelang. Nach dem Abi, nach dem
Studium, oder nachdem sie ihren Job gekündigt haben. Mit diesen Reisenden gehe
ich in ein Restaurant am anderen Ende Bagans, groß, wie ein Dschungel
dekoriert, mit Springbrunnen und Kellnern in Uniform. Mein Abendessen ist
kleiner als das Mittagessen, der Tee kostet extra und ich bezahle neunmal so
viel wie ein paar Stunden vorher. So viel zur Schere zwischen Arm und Reich.
Die Pagoden von Bagan bilden auch eine schöne Kulisse für Hochzeitsfotos |
Ich habe übrigens keinen Reiseführer dabei, sondern die "Gebrauchsanweisung für Myanmar" von Martin Schacht, die ich nur empfehlen kann!
Martin Schacht
Gebrauchsanweisung für Myanmar
PIPER, 224 Seiten
überarbeitete Neuausgabe 2017
15 €
Martin Schacht
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PIPER, 224 Seiten
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