Das Surin-Projekt




Felder. Das ist es, was ich hauptsächlich sehe. Dazwischen Bäume, trockene Sträucher, einzelne Häuser. Trotzdem fährt mein Moped-Taxi bis zum Schluss auf gut ausgebauten Straßen.
Nach einer Nacht in einem wirklich komfortablen Bus, in dem es frisch gewaschene Decken, Wasser und Abendessen für alle gab, und einer zweiten, nur einstündigen Busfahrt von Buriram nach Satuek bin ich nun in der Provinz Surin.
Außer Feldern gibt es hier vor allem Elefanten. Keine wilden, aber hier werden die Arbeitstiere traditionell trainiert. Trächtige Kühe werden aus dem Norden Thailands zur Geburt hierher gebracht und gehen dann ohne den Nachwuchs wieder zurück. Es kommt uns auch schon ein Mahout auf seinem Elefanten entgegen.
Da Elefanten aber nur noch für den Tourismus gebraucht werden und man ihre Lebenssituation verbessern will, steckt der Staat Geld in die Region. An allen Ecken wird gebaut, für Touristenströme, die wahrscheinlich nie kommen werden. Immer wieder passieren wir schicke Cafés und Restaurants mit großen Scheiben – leer und mitten im Nirgendwo.

John Roberts von der Golden Triangle Foundation in Chiang Rai (im hohen Norden), dem ich hier begegne, schätzt, dass die Hälfte der thailändischen Elefantenpopulation sich in Surin befindet – wenn man etwas für diese Tiere tun will, dann hier. Er ist mit seiner Mitarbeiterin Nissa, zwei Tiertrainern aus Mexiko und einem Überraschungsgast für einen Target-Training-Workshop hier. Sie wollen den Mahouts zeigen, dass Training mit Belohnung viel effektiver ist als mit Bestrafung. Und weil es eher selten klappt, wenn ein Europäer kommt und sagt: „Meine Methode ist besser“, hat er sich einheimische Experten mit ins Boot geholt. Das sind neben Wissa die beiden Tierärztinnen vor Ort und Kan aus Laos, den ich im September 2018 auf dem Elefanten-Workshop in Myanmar kennen gelernt habe.
Hierhergekommen bin ich eigentlich wegen Pang, thailändische Elefantentierärztin, die ich ebenfalls von besagtem Workshop im Herbst kenne.
„Pang, ich bin in Thailand, darf ich dich besuchen und gucken, wo du arbeitest?“
„Klar, es ist nicht ganz leicht, herzukommen, aber wir haben dann das Target-Training, das ist bestimmt interessant für dich.“


Und so finde ich mich in der ostthailändischen Prärie wieder, in die sich nur selten ein farang verirrt, bastle Targets und helfe bei Behandlungen verletzter Elefanten mit.
Beim Target-Training geht es grob gesagt darum, dass das Tier (ob nun Elefant, Hund oder Schaf), einen Stock, den sogenannten Target, auf Kommando mit einem bestimmten Körperteil, Flanke, Fuß, Rüssel,… berührt. Dafür gibt es dann ein Leckerli. Man kann mit zwei Targets gleichzeitig arbeiten, um den Elefanten zum Beispiel seitlich an das Gatter für den geschützten Kontakt zu stellen und ihn gleichzeitig den Fuß heben zu lassen. Das erleichtert die Untersuchung genauso wie Routinebehandlungen. Und das Training scheint den Tieren Spaß zu machen.

Kan beim Target Training mit Elefantendame Gim
Pang und ihre Kollegin arbeiten im „Surin Elephant Kingdom Project“, das vom Staat finanziert wird – Gehalt, Gebäude, Medikamente, Equipment. Die beiden Tierarztautos und der Treibstoff dafür kommen von Sponsoren. Das bedeutet, dass die Mahouts mit höherer Wahrscheinlichkeit bei der „Mobile Elephant Clinic“ anrufen, wenn sie einen Tierarzt brauchen – sie müssen ja nichts bezahlen, weder für die Behandlung, noch für die Medikamente. Pang, Gaa und ihre beiden Tierarzthelfer haben immer Rufbereitschaft.


Rund 200 Elefanten umfasst das Projekt, 300 bis 400 leben in der Region. In der Stadt Surin gibt es noch eine Klinik, in der auch OPs an Elefanten durchgeführt werden können, mit zwei weiteren Tierärzten. Man hilft sich natürlich gegenseitig aus. Früher waren die Mahouts mit ihren Tieren ständig unterwegs und hielten sie auf Heimaturlaub für ein paar Tage im Garten. Jetzt, dank staatlicher Förderung, sind sie immer hier. Den Mahouts gefällt es, den ganzen Tag in ihrer Hängematte zu sitzen, nichts zu tun und dafür bezahlt zu werden, wie es John ausdrückt, aber die Elefanten leiden unter der Langeweile. Sie sind angekettet und haben daher wenig Bewegungsfreiheit. Die meisten, die ich sehe, zeigen stereotype Verhaltensweisen.
Aber, immerhin, bei Verletzungen, Augenerkrankungen und Geburtsproblemen wird jetzt der Tierarzt gerufen.


Und ich darf mit. Augentropfen geben, Abszesse spülen, Wunden nachkontrollieren. Ich scheine als Praktikantin zu laufen, niemand wundert sich.
Zu dem Workshop kommen letztlich sechs Mahouts mit ihren Tieren. Das sind fünf mehr als beim letzten Mal. Und alle sind damit zufrieden. Ob hier jemand aufkreuzt oder nicht, scheint niemandem besonders wichtig zu sein.


Am dritten Tag bekommen wir auf dem Weg zu unserem ersten Routinepatienten einen Anruf: ein Bulle in Musth hat seine Ketten durchgerissen und ist ausgekommen. M, der Tierarzthelfer am Steuer, dreht mitten auf der Straße um und wir düsen zur Klinik zurück – das Narkosegewehr holen.
Musth ist eine periodische Phase bei Elefantenbullen, in der das Testosteronlevel enorm ansteigt. In der Wildnis wandern die Bullen dann hunderte Kilometer weit, um paarungswillige Kühe zu finden, mit denen sie nicht verwandt sind. Neben der Libido zeigen die Tiere in dieser Phase auch erhöhte Aggression und die Mahouts versuchen in der Regel, sich so gut es geht von ihnen fernzuhalten. Essen, Trinken, Baden, mehr gibt es in dieser Zeit nicht. Die Musth tritt in der Regel einmal im Jahr für einen Monat auf, kann aber auch dreimal im Jahr vorkommen, oder, Gaa hatte so einen Fall, bis zu sechs Monate andauern. Wenn sich so ein Bulle von den Ketten befreit, kann es schon mal sein, dass er Autos und Häuser zerstört und Menschen angreift. Viele Mahouts sind gestorben, während ihr Elefant in Musth war.

Hier wird das Narkosegewehr vorbereitet
 Daher ist jetzt Alarmstufe Rot angesagt. Wir brausen mit 100 km/h über kleine Wege, auf denen wir sonst vierzig fahren, Pang und Toi, die andere Tierarzthelferin rasen hinterher, die Tierärzte aus der Stadt sind mit einem zweiten Narkosegewehr unterwegs. Auf immer enger werdenden Feldwegen fahren wir raus in die thailändische Prärie, in der der Bulle jetzt herumläuft. Verletzt hat er (noch) niemanden, nur ein Motorrad geschrottet. Der Mahout hat bereits erfolglos versucht, ihn mit einer Elefantenkuh anzulocken. Jetzt soll er sediert werden, damit man ihn wieder nach Hause bringen kann, bevor er ernsthaften Schaden anrichtet. Mit dem Narkosegewehr begibt man sich dafür zwar nicht in ganz so große Gefahr, wie wenn man es mit einer Spritze versuchen würde, aber man muss immer noch auf zwanzig, dreißig Meter heran. Wir laufen über die vertrockneten Reisfelder näher, dann muss ich zurückbleiben, während die Experten sich dem Elefanten weiter nähern, von Baum zu Baum hetzend, damit er die Menschen nicht zu früh bemerkt. Erst nach einer Stunde bekommt er endlich sein Xylazin, der Mahout kann aufsteigen und ihn nach Hause bringen. Alle atmen auf. Es haben sich inzwischen zahlreiche Helfer und Schaulustige um unsere Autos angesammelt, sie sind mit Pick-ups und Mopeds gekommen.


Einer der Geländewägen ist in einen Betongraben gefahren und steckt fest, wobei das Auto den Rückweg für alle versperrt. Alle hocken sich darum herum und beraten, wie man den Reifen da wieder heraus bekommen könnte. Jemand bringt ein großes Brett (möglicherweise das Schild eines Hotels), einer einen Wagenheber. Man schichtet Steine im Graben unter dem Auto auf, noch jemand kommt mit einem Traktor und John organisiert irgendwo ein Seil. Mit vereinter Kraft ist das Auto schließlich befreit, und alle können zum Haus des Mahouts fahren, wo der Elefantenbulle inzwischen wieder sicher angekettet ist, und jeder bekommt eine Flasche Wasser in die Hand gedrückt. Es wird schon langsam dunkel. Es hat alles ganz schön lange gedauert und der Nachmittag war nervenaufreibend für alle Beteiligten.
Thailand und ich hatten keinen leichten Start, das gebe ich zu, aber dieser Tag, seien wir ehrlich, ist genau, warum mir dieses Land gefällt.

Ich könnte jetzt noch von dem netten kleinen Bungalow erzählen, in dem ich untergekommen bin, davon, dass ich die Surin Region allen Thailand-reisenden empfehlen würde, die das „echte“ Thailand ohne die Touristenmassen kennen lernen möchte, aber ohne Dolmetscher hat man es hier nicht leicht; und natürlich gibt es noch so viel zu sagen über alles, was bei der Haltung der Elefanten schief läuft und über die Menschen, die für eine Verbesserung der Situation kämpfen – aber das alles würde dann doch den Rahmen sprengen.

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