Ein Wochenende in der Stadt der Engel



Von minus zehn Grad in Estland zu plus achtundzwanzig in Thailand. Vom beschaulichen Tartu, in dem ich mich inzwischen ziemlich gut auskenne, ins riesige, laute, chaotische Bangkok. Das ist der Kultur- und klimatische Schock auf den ich mich einlasse. 

Ich erinnere mich noch gut daran, wie es war, in Nepal anzukommen. Das erste Mal in Asien. Das erste Mal, dass ich nicht von einem bekannten Gesicht am Flughafen abgeholt werde. Ich kann kein Wort in der Landessprache, kann die Schrift nicht lesen, mit Englisch kommt man nicht weit. Es ist spät, das Gepäck stapelt sich neben dem nicht funktionierenden Gepäckband, als ich mich durch die Passkontrolle gekämpft habe und in einem klapprigen kleinen Toyota geht es durch die versmogten Straßen, in denen ich sofort die Orientierung verliere, an einen Ort, den ich nie alleine wiederfinden werde, ich fühle mich allein und hilflos.

Damals, es ist jetzt ungefähr fünf Jahre her, musste ich so schnell wie möglich raus aus Kathmandu.

Inzwischen bin ich viel gereist, auch viel alleine, aber Bangkok ist anders als alles, was ich je erlebt habe und ich fühle mich, als wäre ich zum ersten Mal in einer Stadt im Ausland unterwegs.

Vor dem königlichen Palast herrscht dichtes Gedränge
Die Gepäckbänder im Suvarnabhumi Flughafen laufen zwar, aber bis ich die lange Schlange am Einreiseschalter hinter mir gelassen habe, stapelt sich auch hier bereits das Gepäck auf dem Boden. Die Schlange am Taxistand ist genauso lang wie die an der Passkontrolle, und der Fahrer des Taxis, das ich mir mit zwei Backpackerinnen aus England teile, spricht ungefähr so gut Englisch wie ich Thai. Ich zeige ihm auf Google Maps, wo ich hin will, und letztendlich findet er trotz der Navigation auf meinem Handy das Hostel nicht. Ich gehe also zu Fuß, bis ich es finde. Acht Betten gibt es, man spielt abends zusammen Karten, die Gäste und Wiwa, die hier alles am Laufen hält. Man kann hier wohnen gegen Arbeiten oder einen Spottpreis bezahlen – ich übernehme eine Nachtschicht an der Rezeption.
Auch die folgenden Taxifahrer sprechen kein Englisch, müssen nach Navi fahren und nach dem Weg fragen, sie rufen Bekannte an, die den Zielort vielleicht kennen… Ich verbringe letztlich mehrere Stunden im Taxi, Bangkok ist mir zu groß, zu voll, zu laut, ich bin dem guten Willen der Taxifahrer hilflos ausgesetzt… Wahrscheinlich überlebe ich nur dank Charanthorn, einem Freund und Kommilitonen aus Hannover, Thailänder, der gerade hier Praktikum macht und für mich übers Telefon mit den Fahrern spricht, mir mein Essen bestellt, übersetzt, und vor allem: einen Plan hat.

Nach meinem ersten Bratreis mit Gemüse nimmt er mich kurzerhand zu einer Party mit, auf die er eingeladen wurde – die volle Besetzung der Kleintierklinik der Mahanakorn University of Technology ist schon fröhlich am Trinken, Singen und Tanzen in einer Karaokebar. Da in Bankgok um zwei Uhr morgens Sperrstunde ist, muss man früher anfangen und schneller feiern als in Deutschland. Am Ende gröle ich auch die thailändischen Popsongs mit, obwohl ich kein Wort verstehe. Bei einer Art Wichteln darf ich sogar auch mitmachen. Zwei Tierärzte begleiten mich im Taxi und den Rest zu Fuß bis zum Hostel, um sicher zu stellen, dass ich gut ankomme, nachdem sie dem Fahrer genau den Weg erklärt haben. Das nenne ich mal Gastfreundschaft!
Am nächsten Tag finden sich die Fotos der Party bereits auf Facebook und ich habe eine Nachricht von Pang, der thailändischen Elefantentierärztin, die ich in Myanmar kennen gelernt habe: „Bist du das auf dem Bild mit meinen Kommilitonen?“ So klein ist die Welt.

Touristenmassen in Wat Phra Khaeo
Mit Charanthorn als private guide besuche ich am Samstag die königliche Palastanlage mit dem Tempel Wat Phra Khaeo, der den berühmten Smaragdbuddha beherbergt – übrigens ist dieser in Wirklichkeit aus Jade.
Weiter geht es zu Wat Pho, in dem ich den vergoldeten, 45 Meter langen Liegenden Buddha bewundere. Seine Füße sind mit Perlmutt verziert.
In den Tempeln herrscht eher Jahrmarktatmosphäre als religiöse Andacht, man muss sich durch Touristenmassen schieben wie auf dem Oktoberfest. „Ich frage mich, wie viele Instagram-Fotos hier täglich entstehen“, kommentiert Charanthorn, bevor er sich um mein Mittagessen kümmert.

Der Liegende Buddha in Wat Pho
„Das ist eben so in der thailändischen Kultur – du bist hier Gast und ich bin jetzt für dich verantwortlich“, erklärt Charanthorn, der immer sicher stellt, dass wir im Tuk-Tuk oder Taxi nicht den farang-(Langnasen/Ausländer)Preis zahlen müssen, dass mein Essen vegan ist und mir erklärt, was ich in den Tempeln vor mir sehe, welche Regeln im Buddhismus und in Thailand zu beachten sind, für mich übersetzt und so weiter.
Anschließend besteigen wir den „Goldenen Berg“ mit dem Tempel Wat Saket auf seiner Spitze. 318 Stufen führen die 79 Meter hoch und dort kann ich endlich einmal aufatmen. Die Abgase sind hier nicht so schlimm, die Touristen bleiben nur kurz, und die Aussicht über die Stadt ist fantastisch.

Aussicht vom Wat Saket
Dann trete ich meine Nachtschicht an. Da das Hostel ausgebucht ist, habe ich eigentlich nichts zu tun außer putzen und eventuelle „zusätzliche“ Besucher zu verscheuchen, also schlägt Wiwa nach ein paar Stunden Kartenspielen vor, dass wir doch noch zur Khao San Road gehen könnten. Die nur 400 Meter lange Straße gleich ums Eck ist die Backpacker-Meile Bangkoks – bunte Klamotten, Souvenirs, westliche Restaurants neben Straßenständen mit frittierten Insekten, ein Hostel neben dem anderen und natürlich jede Menge Bars. Nachts verwandelt sich die Straße in eine einzige Disco. Aus jeder Tür dringt Techno-Musik, Alkohol wird in Eimern (ja, das ist wörtlich gemeint) verkauft, man kann Lachgas kaufen, frittierte Skorpione und Sex, und überall wird getanzt. Zum Glück ist es schon kurz vor zwei, sodass ich mich schnell wieder aus dem Gedränge der Backpacker aus aller Welt verdrücken kann.
Tagsüber wirkt die Khao San Road einfach nur bunt und belebt...
...nachts verschmilzt alles zu einer großen Party der Backpacker

Die Kriminalitätsrate in Bangkok ist recht hoch, das liegt aber eher an Diebstählen durch Touristen als an den Einheimischen.
Denn das Vertrauen der Thai in andere Menschen ist groß.
Das merke ich am Sonntag auf dem „Winterfestival“, auf das Charanthorn und seine thailändischen Freunde mich mitnehmen.
Man kann sich traditionelle thailändische Kleidung und passenden Schmuck ausleihen, sich professionell fotografieren lassen und dann in der Tracht über das Festival im malerischen Dusit-Park schlendern. Wer was anzieht und ob es auch wirklich wieder zurückgebracht wird, kontrolliert niemand – denn niemand käme auf die Idee, etwas mitgehen zu lassen.
Ich esse den typischen Papaya-Salat und gegrillte Banane mit Kokos-Soße an den Ständen, die die Küchen der verschiedenen Provinzen Thailands repräsentieren, übrigens in biologisch abbaubaren to-go-Behältern. Das Fest soll an die kulturellen Schätze Thailands erinnern (eben durch die Kleidung und zum Beispiel eine Ausstellung über die wichtigsten Projekte der zehn Rama-Könige – momentan regiert Rama X – sowie Modellen der königlichen Boote), aber auch darauf aufmerksam machen, dass es die Schönheit Thailands zu schützen gilt. In einem 3D-Film wird gezeigt, wie wichtig das Wasser für den Menschen ist und wie verschmutzt. Man kann Jutebeutel mit der Aufschrift „Say NO to plastic bags“ kaufen und hier wie auch an vielen Stellen im Land stehen inzwischen Eimer zur Mülltrennung, auf denen „Reuse, Reduce, Recycle“ steht, Trinkwasser kann man aus größeren Tanks abfüllen (obwohl das Leitungswasser in der Hauptstadt inzwischen auch gut trinkbar ist). Auf diesem Festival fühle ich mich ein bisschen wie ein Japaner auf dem Rosenheimer Herbstfest – hier ist es besser als in München, ich begegne nur  drei anderen farang, und in der Tracht muss ich mit meiner westlichen langen Nase, der nordeuropäisch weißen Haut und den roten Dreadlocks unglaublich fremd aussehen. Aber niemand hat etwas dagegen, es ist wirklich schön hier in dem Park vor dem zweiten Königspalast mit seinem riesigen Geisterhaus daneben und ohne Autos um mich herum und vier Thais, denen ich einfach nachlaufen kann, auf die Art gefällt mir Bangkok sogar.

Das Modell des Geisterhauses zum Palast im Hintergrund
Streetfood!
Bangkok wird nicht Stadt der Engel genannt, weil sie himmlisch schön ist. Warum genau sie so getauft wurde (auf Thai ist es nämlich nicht Bangkok, sondern Krung Thep – Engelsstadt), weiß ich nicht, aber für mich ist sie die Stadt der Engel, die sich so rührend um mich kümmern, mir Essen bestellen und ein Taxi rufen, mich bis zur Haustür begleiten und mir die geschichtlichen und kulturellen Hintergründe zu den Sehenswürdigkeiten, den interessanten Ecken und den Leuten erklären.

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