Über Essen und Vertrauen (und andere Sachen)
Sonnenuntergang an der Mahanakorn Universität |
Auch die Frau am Busbahnhof in Trat, die mir sagt, nein, einen Matcha mit Sojamilch könne sie nicht machen – bis ich nebenan selbst Sojamilch kaufe und ihr reiche. Kurz darauf sitze ich in einem Minivan mit dreizehn Sitzplätzen, den Rucksack zwischen den Knien, auf dem Weg zurück nach Bangkok. Das heißt, fast, denn die Uni, an der ich mein Praktikum mache, liegt etwas außerhalb, in Nong Chok. Der Van hält immer wieder an, mal steigen wir aus, mal nur der Fahrer, mal passiert gar nichts. Da niemand der anderen Fahrgäste Englisch spricht, weiß ich nie genau, warum und wie lange wir anhalten und entferne mich lieber nicht vom Van. Es ist wieder so eine Pause, ich warte darauf, dass die Leute ihre Snacks gekauft haben und wieder einsteigen, damit ich an meinen Platz direkt an der Tür zurück kann. Plötzlich schließt sich die Tür und der Van fährt weg – mit meinem Rucksack auf meinem Platz, Handy und Geldbeutel sind natürlich da drin. Panik überkommt mich, ohne mein Handy kann ich auch die anderen nicht mit Google-Übersetzer fragen, was los ist. Einer der Fahrgäste bedeutet mir, etwas zu essen und mich hinzusetzen. Schnell wird mir klar, dass der Van wiederkommen wird, wir wurden nicht auf halber Strecke ausgesetzt, sondern machen nur Mittagspause. All unser Gepäck ist da schließlich drin. Ich setze mich und reduziere meine Atemfrequenz. Der Mann, der mich zum Essen überredet hat, muss jetzt auch dafür bezahlen, mein Geld ist ja im Bus, was ich zwar nicht erklären kann, aber er trotzdem versteht. Als der Van wieder da ist, möchte er das Geld dann auch nicht zurück haben.
Ich habe ja grundsätzlich großes Vertrauen in andere
Menschen und gehe immer davon aus, dass sie nur Gutes wollen. Die Thailänder
bestätigen mich immer wieder darin.
Als ich in Nong Chok ankomme, hat sich meine Betreuerin
Trust bereits um alles gekümmert: Studentin Baiyok erwartet mich, sie hat
meinen Zimmerschlüssel fürs Wohnheim, zeigt mir, wo ich alles finde, die
Waschmaschinen, den kleinen Laden, in dem ich Klinik-Kleidung kaufen kann, den
Supermarkt und den Markt, auf dem ich frische Obst und Gemüse bekommen kann.
Trust holt mich am nächsten Morgen auf halber Strecke zur tiermedizinischen
Fakultät ab und gibt mir eine kleine Campusführung. Für die nächsten zwei
Wochen wird das hier mein Zuhause sein (oder drei Monate, wie man es nimmt,
denn nicht jede Abteilung, in der ich Praktikum mache, befindet sich in diesem
Vorort von Bangkok). Aus einem mir nicht ersichtlichen Grund werde ich erst
einmal durch die Kleintierklinik geführt. „Das ist Ina aus Deutschland“, stellt
Trust mich vor. „Ich weiß, wir kennen uns schon“, sagt der Intern. Jetzt ist
sie verwirrt – ich bin doch gerade erst angekommen? Tatsächlich erinnert sich
aber fast das komplette Personal der Kleintierklinik an mich, wir waren
schließlich vor zwei Wochen zusammen in der Karaokebar. Ich kann mich leider an
so gut wie keinen Namen erinnern. Die Namen fallen mir unglaublich schwer,
obwohl eigentlich alle Thailänder kurze Spitznamen haben. Auf den
Namensschildern (sofern die nicht auf Thai sind) und auf Facebook stehen aber die
richtigen Namen, von denen sich die Spitznamen fast nie herleiten lassen. In
der Großtierklinik merke ich mir also erst einmal nur Dr. Pui, meine Ansprechpartnerin
und versuche dann, mir nach und nach die Namen der anderen Tierärzte und der
Studenten einzuprägen. Die Studenten des sechsten Jahres rotieren im
Monatsrhythmus durch die Kliniken, weil ich aber immer zwischen Pferd und Rind
wechsle, je nachdem, wo gerade etwas los ist, komme ich mit drei Gruppen in
Kontakt: Geburtshilfe, Pferde, und Wiederkäuer. Schon am ersten Abend werde ich
zum Abendessen mitgenommen, und das kleine Lokal direkt am Wohnheim gefällt mir
so gut, dass ich fast jeden Tag hingehe. Kade, die Köchin, kennt meine Marotten
schnell: keine Fischsauce, kein Fleisch,…und dazu Grüntee ohne Milch. Sie denkt
sich für mich sogar vegane Versionen ihrer beliebtesten Gerichte aus, und
frittiert mir zum Beispiel Pilze statt Huhn.
Wenn ich bei Bew meinen Tee bestelle, schickt er mich jedes
Mal weg – je nach Andrang muss man schon mal eine halbe Stunde oder sogar mehr
warten, bis man sein Getränk bekommt, und auch in der Mensa geht man wieder,
nachdem man bestellt hat. Irgendwann kommt man dann wieder und holt sein Essen
und Trinken ab, wenn ich daneben stehen bleibe, während ich warte, sagt man mir
meistens noch ein paar Mal, dass es noch eine Minute dauert. Ich kann also in
Ruhe zu einer Behandlung gehen, mein Tee steht dann später immer noch bei Bew
auf dem Tresen. Ich weiß nicht, ob ich das in einem Coffeshop in Deutschland so
machen könnte: bestellen und dann weggehen. Hier ist das normal. Andererseits
ist hier ja auch alles offen und mehr oder weniger im Freien – vom Kuhstall aus
kann ich Bews Tresen sehen.
Die Studenten lassen ihre Taschen mit ihren Wertsachen
einfach offen in der Klinik herumstehen, aber mit der Zeit wird mir bewusst,
dass sie nicht jedem vertrauen. Erst denke ich, es ist einfach eine nette
Geste, dass mich immer jemand nach Hause begleitet oder, wenn es schon dunkel
ist, mit dem Auto zum Wohnheim fährt. Dr. Pui stellt auch immer sicher, dass
ich etwas zu essen habe, bevor sie mich nach Hause fährt – dabei wäre es zu Fuß
sogar kürzer, will man dann nicht diese U-Turns machen müsste… Als ich mit Bas
und seiner Freundin Phon unterwegs bin, bestehen die beiden ebenfalls darauf, mich
nach Hause zu fahren.
„Das sind fünf Minuten zu laufen, wirklich, macht euch doch
nicht die Umstände!“, protestiere ich.
„Es ist gefährlich“, erklärt Bas. „Die ganzen Ausländer, aus
Myanmar vor allem. Dein Wohnheim ist auch nicht so sicher wíe unseres, bei euch
steht ja der Haupteingang immer offen! Mein Bruder möchte, dass ich eine
Pistole im Auto habe, zur Sicherheit!“
Wow. Da hat aber jemand Angst vor Ausländern. Aber mich
nehmen sie mit zum Essen.
Auf ihr gutes Essen sind die Thai wirklich stolz, und alle
bedauern, dass ich kein Fleisch esse – ich würde ja so viel verpassen. Die
Studenten werden kreativ, überlegen sich, bei welchen Gerichten man das Fleisch
weglassen kann und was ich noch alles probieren könnte – Bubble Tea gibt es
auch ohne Milch, frittierte Algen, Nudelsuppen, und natürlich Klebreis mit
Mango – Moss, mit dem ich darüber gesprochen habe, wie lecker ich den „sticky
rice“ finde, bringt mir einfach so eine Portion zur Uni mit, und in der Klinik
gibt es grüne Mango mit Chilisauce zu probieren. Und obwohl mir inzwischen drei
Leute auf Thai aufgeschrieben haben „ohne Fleisch, ohne Ei, ohne Fischsauce“
brauche ich diese Zettel eigentlich nie – entweder nimmt mich jemand zum Essen
mit und bestellt dann etwas Veganes für mich, oder Kade hat etwas kreiert –
heute zum Beispiel drückt sie mir morgens um zehn vor neun eine
Galgant-Kokos-Suppe in die Hand, obwohl das Lokal eigentlich erst um elf öffnet
– aber das soll ja mein Mittagessen sein. in meiner eigenen Lunchbox natürlich.
Nicht gerade eine große Auswahl für Veganer |
Knoblauch gefällig? |
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