Mahanakorn
Der Campus.
Wir nehmen fast jeden Tag die „Tram“ zur großen Kantine im
F-Gebäude. Da gibt es besseres Essen, sagen die Anderen, als in der kleinen
Mensa direkt an der tiermedizinischen Fakultät. Es gibt noch eine dritte auf
halber Strecke, wo ich mir manchmal im Vorbeigehen ein Mittagessen in meine
Lunchbox füllen lasse. Und eine vierte im Hauptgebäude, soweit ich weiß. Wie
viele Coffeeshops es gibt, kann ich nicht sagen, aber da sich der beste direkt
neben der Großtierklinik befindet, ist das ja auch nicht wichtig. Mit der Tram
braucht man rund fünf bis zehn Minuten von einem Ende des Campus zum anderen.
Der Fußweg neben der Straße wird von einem Wellblechdach bedeckt, um die Leute
vor der Sonne zu schützen. Alle zwanzig Meter bremst eine Schwelle Tram, Mopeds
und Autos ab. Man kann IT, Business Administration, Tiermedizin und
Ingenieurwesen studieren, in Gebäuden, die mit Buchstaben benannt sind, R ganz
am Ende des Campus, dahinter beginnen die Felder – es ist das Hauptlehrgebäude
der Veterinäre. Es gibt eine Campuspolizei, jede Menge Tische und Bänke unter
Dächern, wo man lernen, essen oder einfach nur herumsitzen kann, zwei
Sportplätze, ein Freiluft-Fitnessstudio (natürlich, die gibt es an jeder Ecke),
und eine große Turnhalle. Wenn ich abends heimgehe, findet immer gerade ein
Fußballspiel statt, Basketballtraining, Thaiboxen, Badminton…, während
außenherum Jogger ihre Runden drehen.
Willkommen
an der Mahanakorn University of Technology, Nong Chok, Thailand.
Bews Coffeeshop |
Die Studierenden.
An jeder Tramhaltestelle erinnern einen große Plakate an den
Dresscode: Geschlossene Schuhe. Weiße Hemden bzw. Blusen, schwarze Hose oder schwarzer Rock. Ja,
Thailand mag sehr offen sein, was Geschlechtsidentitäten angeht, aber wenn du
weiblich geboren wurdest, hast du an der Uni einen Rock zu tragen. An der tiermedizinischen Fakultät gibt es für die klinischen Semester
Uniformen: weiß für Kleintiere, blau für Großtiere, je nachdem, welche Kurse
man gerade hat. Im sechsten Jahr, trägt man dann Jeans und Kasack, in jeder
Farbe, die man möchte.
Fast alle Studenten leben in den Wohnheimen in unmittelbarer
Nähe zum Campus. Manche Tierärzte auch. Einige Räume werden von zwei Leuten
geteilt, andere haben sogar eine Küche, und manche, wie meiner, sind irgendwo
dazwischen: eigenes Bad, aber keine Küche.
Ist es Zufall oder habe ich eine Glückszahl, von der ich
nichts wusste? Ich wohne wieder im vierten Stock, wie letztes Mal, als ich in
einem Wohnheim lebte, und die Thai zählen wie die Esten das Erdgeschoss als
Nummer eins.
Nur wenige Studierende gehen zu Fuß zur Uni, obwohl es so
ein kurzer Weg ist, man fährt mit dem Roller, dem Auto, oder dem Moped-Taxi.
Ich habe schon alles davon ausprobiert, denn obwohl ich eigentlich laufe, nimmt
mich meistens auf halber Strecke irgendjemand mit.
Die Studenten, mit denen ich in der Großtierklinik zu tun
habe, sind anfangs schüchtern, aber nach einer Woche tauen sie auf. Ein Satz,
den ich fast täglich zu hören bekomme ist: „Mein Freund würde gerne mit dir
reden, aber er traut sich nicht.“ Aber sie sprechen alle besser Englisch, als
sie denken.
Inzwischen unterhalte ich mich sogar mit dem Typen, den ich
an den ersten zwei Tagen nicht einmal gesehen habe.
Auch Studis aus den anderen Semestern sind neugierig und
setzen sich manchmal in der Mittagspause zur farang. Und dann dürfen sie sich natürlich über mich lustig machen,
weil jeder meinen Namen kennt, aber ich entweder mir ihre Namen nicht merken
kann, oder nicht aussprechen.
Freitags geht man normalerweise aus, und weil wir alle faul
sind (oder Angst vor den Ausländern im Viertel haben…), wird es immer die Bar
direkt am Wohnheim (nach einem Abendessen in ähnlich weiter Entfernung).
Eigentlich ist es mehr ein Spirituosengeschäft, das abends Tische und Stühle
auf dem Parkplatz aufstellt.
Und auch hier unterscheiden sich die Studenten nicht von
denen im Rest der Welt – wenn sie sagen „um neun“ meinen sie „nicht vor zehn“ –
wann werde ich das endlich lernen?
Sich um mich (den Gast) zu kümmern, liegt in der
thailändischen Kultur, hilfsbereit und freundlich zu sein, ist glaube, ich
genetisch verankert. Manchmal bin ich mir nicht sicher, ob sie die Sachen
machen, weil sie Lust darauf haben, oder weil sie sich dazu verpflichtet fühlen
– wie mich zum Sightseeing zu begleiten.
Vorlesungen und Kurse finden von Montag bis Freitag statt,
aber manchmal müssen die Studis auch am Wochenende an die Uni, wenn sie dran
sind, sich um die Tiere zu kümmern, zum Beispiel, oder Wochenenddienste in den
Kliniken, manchmal sogar für eine Prüfung.
Die Fakultät.
Jedes Jahr beginnen etwa achtzig Studierende das
Tiermedizinstudium an der Mahanakorn University of Technology (MUT) Drei Jahre
dauert die vorklinische Ausbildung, drei die klinische, im sechsten Jahr wird
im Monatsrhythmus durch die Kliniken rotiert, in Gruppen von etwa zehn bis
fünfzehn Leuten, wobei immer mindestens ein Mann dabei sein muss, um die
Großtiere zu bändigen…
Die Kliniken, in denen gelehrt wird, sind: Kleintiere (Hunde
und Katzen), Pferde, Wiederkäuer (Rinder, Schafe, Ziegen), Schweine, Exoten
(Kaninchen, Meerschweinchen, Zier- und Wildvögel, Reptilien, Elefanten,
Eichhörnchen,…), Reproduktion/Geburtshilfe, und wer mag, kann natürlich auch in
einen Zoo oder ein Labor für ein Praktikum. In den Semesterferien machen
ebenfalls die Meisten Praktika, Viele im Ausland. Auf dem Campus befinden sich
zwei Lehrgebäude und drei Kliniken: die Kleintierklink, die Pferdeklinik und
die Wiederkäuerklinik, wobei die beiden letzteren als Großtierklinik
zusammengefasst werden und einen Behandlungsraum für Exoten mitbetreiben. Ein
Großteil der Geburtshilfe-Ausbildung und Module der Schweineklinik finden
ebenfalls hier vor Ort statt. Kooperationen gibt es zusätzlich mit einer
Exoten-Klinik, einer Büffelfarm, und dem Khao Kheow Open Zoo. In der Regel
arbeitet dort ein Dozent der MUT, sodass sich Praktika schnell und formlos
organisieren lassen, und auch das Pflichtpraktikum der MUT-Studenten mit Exoten
läuft entweder über den Zoo oder die Klinik. Jeweils ungefähr ein Dutzend
Ziegen, Pferde und Zebus gehören der Großtierklinik, und die Studenten werden
eingeteilt, sich um diese Tiere zu kümmern – Stall sauber machen, füttern,
Pferde bewegen. Jeder Student kann Rinder treiben, longieren und hat schon mal
auf einem Pferd gesessen, wenn die klinische Ausbildung beginnt. Dann dürfen
sie an diesen Tieren üben, (Ultraschall-) Untersuchungen durchzuführen, Kotproben
zu analysieren, Blut abzunehmen, und so weiter.
Eine natürliche Geburt mitten am Nachmittag! |
Im sechsten Jahr müssen die Studenten Fälle vorstellen, und
manchmal möchten die Dozenten diese Präsentationen auf Englisch hören, zur
Übung. Umso besser für mich! Auch die Kursunterlagen sind oft auf Englisch,
sodass ich zwar nichts verstehen, aber immerhin mitlesen kann. Die Fallberichte
enthalten Vorgeschichte und Symptome des Patienten, Untersuchungsergebnisse,
Diagnose mit Erklärungen zu den Differentialdiagnosen, Therapie, Status quo und
weiteres Vorgehen. Doch anders als in Deutschland werden auch die Kosten
detailliert mit aufgenommen – Grundkosten, Tests, Ultraschall, Medikamente,
Injektion, und so weiter. Ich werde mal wieder daran erinnert, wie wichtig es
ist, sich auch mit den Finanzen auseinanderzusetzen, was daheim so oft
vernachlässigt wird. In Thailand verdient man auch nicht schlecht als Tierarzt,
vor allem in der Kleintierpraxis – erst denke ich, das sei ein Scherz, in
Deutschland stimmt das schließlich so gar nicht!
Die Patienten.
Eine Gruppe von Studenten ist in der Pferdeklinik (und
kümmert sich auch um den Zwerghamster und die Schildkröte, die gerade dort
sind), und eine Gruppe auf der anderen Straßenseite in der Wiederkäuerklinik,
aber natürlich hilft man einander aus. Wenn die „Wiederkäuer-Leute“ gerade
Mittagspause machen, nehmen auch die „Pferde-Leute“ eine Ziege an, und wenn es
gerade nichts zu tun gibt, beobachten sie alle zusammen die neugeborenen
Kälber. Da ich keine der beiden Klinik zugeteilt bin, sondern einfach der
„Großtierklinik“, gucke ich immer, wo es gerade für mich spannender ist –
Wundspülung beim Pony oder Trächtigkeitsuntersuchung beim Zebu? Als ich ankam,
waren gerade zwei Patienten in der Pferdeklinik, eine postoperative Kolik und
eine Wundheilungsstörung, und pro Woche gibt es durchschnittlich zwei neue
Fälle. Nachmittags üben die Studenten Ultraschalluntersuchungen, und ich darf
dann auch mitmachen, täglich den Zyklusstand der Stuten zu überprüfen. Das ist
schließlich etwas, das man nur mit sehr viel Übung lernt!
Auf der anderen Straßenseite steht ein Büffel mit gebrochenem
Bein, dessen Knochen zwar wieder zusammengewachsen ist, wo sich aber nun ein
Abszess entwickelt hat. Eine kleine Kuh kam mit chronischem Durchfall, und als
keine Behandlung anschlug, durfte ich bei einer „explorativen Laparotomie“
zugucken – soll heißen, Bauch aufschneiden und gucken, ob man die Ursache
findet. „Mach dich steril, dann kannst du die Veränderung an der Leber auch mal
fühlen!“ – Das muss man mir natürlich nicht zweimal sagen.
Viele der klinikeigenen Kühe sind tragend und in meinen zwei
Wochen hier bekomme ich eine natürliche Geburt und vier Kaiserschnitte zu
sehen. Die Kälber (es sind inzwischen fünf) dürfen hier bei ihren Müttern
bleiben, bis sie sieben Monate alt sind, sie dürfen Milch trinken, miteinander
spielen, und nachmittags kommen sowieso alle Kühe gemeinsam auf die Weide.
Ich darf den Studis helfen, den unteren Semestern „Lahmheit
beim Rind“ zu erklären, bei der Blutabnahme-Übung mitmachen, und die
Professoren stellen täglich Fragen wie: „Hast du bei dieser Kuh schon eine
rektale Palpation durchgeführt? Vergleiche doch mal ihren Trächtigkeitsstatus
mit Botun da drüben, was denkst du?“ Selbst haben sie noch nicht palpiert, und
erklären tun sie auch nicht, sie warten, bis ich mir eine Meinung gebildet
habe, und wenn es ihnen nicht schlüssig erscheint oder ich mir nicht sicher
bin, dann kontrollieren sie nach. Nach nur zwei Wochen bin ich schon viel
sicherer bei dieser Art der Untersuchung geworden. Tatsächlich laufen ein paar
der Tierärzte hier im Anzug herum, sie werden ja nicht dreckig, da die
Studenten fast die gesamte Arbeit machen: Sie geben die täglichen Medikamente,
wechseln Verbände, spülen Wunden. Die Dozenten gucken immer wieder vorbei, ob
auch alles läuft, wie es soll. Wenn neue Patienten kommen, wie das krampfende
Kalb, oder das mit dem Wirbelsäulentrauma, oder das Schaf mit dem geschwollenen
Euter,… dann sprechen die Studenten mit den Besitzern, untersuchen das Tier und
diskutieren das weitere Vorgehen und den Therapieplan mit den Tierärzten.
Letztere müssen nur äußerst selten selbst Hand anlegen – sie beobachten genau,
aber die Studenten treffen die ersten Entscheidungen und machen die Arbeit.
So lernen wir.
Und so sollte man immer lernen.
Wir haben das theoretische Wissen an die Hand bekommen, aber
was hilft es uns, wenn wir es nicht anwenden?
Also untersuchen wir das geschwollene Euter und stellen
fest, dass es sich nicht um eine Mastitis (Entzündung des Euters) handelt,
sondern nur um einen Milchstau, melken mit Hilfe eines Katheters und füttern
das Lamm mit der Flasche. Wir geben dem Kalb intravenöse Elektrolytlösung,
beobachten Temperatur und andere Vitalparameter in kurzen Abständen und kühlen
es auf eine gesunde Körpertemperatur herunter, bis es aufhört, zu krampfen.
Wir arbeiten, wir behandeln, wir lernen.
Und wenn es mal nichts zu tun gibt, kuscheln wir natürlich mit
den Tierbabies.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen