Vom Leben im Zoo
Es wird wieder tropisch! Dr. Golf, der Tierarzt, der früher
im Zoo gearbeitet hat und jetzt in der Exotenklinik ist, fährt mich gen Süden,
nach Chonburi. Den nächsten Monat werde ich im Khao Kheow Open Zoo („Grüner
Berg“) verbringen und mein Praktikum in der Wildtierklinik dort machen. Im Zoo
kann man als Praktikant natürlich selbst nicht so viel tun, da die Tiere nicht
so an Menschen gewöhnt sind wie domestizierte, und weil weniger Daten existieren
und die Tierärzte auch viel improvisieren und experimentieren müssen. Aber
dafür bekommt man jeden Tag andere Tierarten zu sehen!
„Hast du Angst bei meinem Fahrstil?“, fragt Dr. Golf schon
nach zehn Minuten.
„Ich hätte Angst, wenn ich selbst fahren müsste!“, erwidere
ich, und wir fangen an, uns über Verkehrsregeln und Führerscheine in
Deutschland und Thailand zu unterhalten. Hier muss man nämlich nicht unbedingt
eine Fahrschule besuchen, man kann sich das Fahren auch von den Eltern
beibringen lassen.
„Aber eine Prüfung muss jeder ablegen?“, hake ich nach.
„Naja, in manchen Regionen…“ Golf überlegt kurz. „Ja,
eigentlich sollte schon jeder eine Prüfung machen.“
Wir sind nicht weit vom Meer entfernt, und die Luft ist deutlich besser als in Bangkok. Kaum Smog, dafür ist es ein bisschen heißer und feuchter. Der Open Zoo ist ein großer Park, in dem man mit dem Auto oder Tourbus (gelegentlich auch Golf Cart) von Gehege zu Gehege fährt. In der Nähe des Eingangs werden Tüten und Eimer voller Obst und Gemüse verkauft, das man an fast alle Tiere verfüttern darf, während auf dem Parkplatz gegenüber eine Busladung krebsroter, unmotiviert dreinblickender russischer Touristen nach der anderen ausgespuckt wird. Diese Gruppen tummeln sich dann im Zehnminutentakt vor den Giraffen, den Elefanten, den Nashörnern…trinken Bier und füttern die Tiere.
kleiner Einbrecher |
Langur in seiner Krankenbox |
Ich lebe am Ende einer Straße an einem Berg hinter den Häusern der Angestellten. Nicht weit von der Klinik beginnt ein Dorf am Rande des Zoogeländes, sogar mit Sportplatz, wo viele der Mitarbeiter des Zoos leben. So auch Tierärztin Dr. Fon, die mich oft auf dem Roller mitnimmt, und die Frau, die mir täglich Mittagessen kocht, damit ich es als Veganerin nicht so schwer habe hier. Und weil ich ja keinen Roller habe, um zum Essen irgendwo hinzufahren. Momentan bin ich in dem Haus alleine, es bietet aber genug Platz für vier ausländische Praktikanten. Die thailändischen Studenten, von denen immer vier gleichzeitig hier ihr Pflichtpraktikum absolvieren, müssen sich um ein Transportmittel kümmern und leben außerhalb des Zoos. Da die Straße vorher eine Biegung macht, bin ich komplett von Dschungel umgeben. Nachts turnen Makaken auf meinem Dach und Geckos kleben an den Fenstern. Man hört die Insekten zirpen und die Affen schreien, Vögel zwitschern und manchmal sogar die Großkatzen brüllen. Der Nachteil am Leben in der Wildnis: Mehrmals die Woche muss ich jemanden bitten, mich nach draußen mitzunehmen, damit ich auf dem Markt frisches Obst kaufen kann. Hier drin gibt es das nicht (jedenfalls nicht für Menschen). Und nach einem schweren Regenguss habe ich kaum Strom. Aber es ist fantastisch, seine Ruhe zu haben, die Natur genießen zu können und am späten Nachmittag zu dritt auf einem Roller in den Ort zu fahren!
Känguru in Narkose |
Phillip T. Robinson beschreibt in seinem Buch „Life at the Zoo“, das ich an dieser Stelle als weitere Lektüre empfehlen möchte, sehr gut
die Probleme eines Zootierarztes. Während man normalerweise erst einmal den
Gesundheitszustand und das Körpergewicht eines Patienten genau ermittelt, bevor
man ihn einer Behandlung unterzieht, lassen sich Wildtiere das nicht einfach
gefallen. Sie müssen erst in Narkose gelegt werden – was natürlich mit einem
sehr viel höheren Risiko verbunden ist. Aber wer möchte schon zu einem wachen Löwen
ins Gehege gehen, um eine Wunde zu behandeln? Und die Antilope würde
wahrscheinlich an einem Herzinfarkt sterben, wenn man mit Spritzen und
Fieberthermometer ankäme.
So wird also das Gewicht geschätzt und der Patient aus
sicherer Entfernung mit Blasrohr oder Gewehr mit einem Anästhetikum injiziert,
bevor wir mit der Ausrüstung zum Blutabnehmen oder der Trage näher kommen. Und
während die Tierärzte und ihre Assistenten beim Tiger Krallen schneiden, Wunden
bei Hirschen säubern und eine Fraktur bei einem Kleideraffen chirurgisch
behandeln bekommen auch wir Studenten eine verantwortungsvolle Aufgabe
übertragen: die Narkoseüberwachung. Atmung, Herzfrequenz, Körpertemperatur und
Sauerstoffsättigung müssen wir genau im Blick haben, damit rechtzeitig beatmet
werden kann, das Narkosemittel nachdosiert wird oder andere Maßnahmen, wie etwa
Abkühlen oder Wärmen, ergriffen werden können.
Vormittags ist es meist chaotisch, wir bereiten noch die
Medikamente für die stationären Patienten vor, dann müssen wir plötzlich in den
Van springen und düsen los zu einem verletzten Hirsch, oder wir halten die Tür
auf für fünf bereits immobilisierte Kängurus, die aus ihrem Gehege ausgebrochen
sind und jetzt einen Rundum-Check brauchen. Dann fahren wir mit zu den
Patienten, die in ihren eigenen Gehegen bleiben dürfen, aber trotzdem
Medikamente brauchen – diese werden auch meistens mit dem Blasrohr von einem
der Tierarzthelfer gespritzt. Oder einem Tiger müssen die Krallen gekürzt
werden, das geht auch nur in Narkose – und das ist trotzdem noch so
risikoreich, dass wir Studenten außerhalb des Käfigs bleiben müssen, in dem die
Aktion stattfindet, und nur die Atemfrequenz überwachen.
Nachmittags ist es dann ruhiger, wir können etwas Ordnung
schaffen, die Sulcata-Schildkröte mit der Magensonde füttern und uns um die
Tierbabys kümmern, die gebracht werden.
Im Khao Kheow Open Zoo läuft auch ein Forschungsprojekt zu
Leierhirschen, und wir dürfen zugucken, wie die Hirschkühe mit Hormonen
behandelt werden, damit ihnen nach einer sogenannten Superovulation Eizellen
entnommen werden können – und dann in-vitro befruchtet werden.
Jedes Tier, das in einem Zoo stirbt, wird auch obduziert,
zum Einen, weil man natürlich wissen will, warum es plötzlich tot im Gehege
lag, aber auch, um mehr Daten zu sammeln. Mehrmals pro Woche dürfen wir bei
diesen Sektionen zugucken und mit anpacken – bei dem Banteng-Kalb mit dem
Nabelbruch, der Hirschkuh mit der Oberschenkelfraktur, einem Wallaby mit
Peritonitis…
Und dann geht das Leben im Zoo weiter.
Life at the
Zoo – Behind the Scenes with the Animal Doctors
University
Press Group, 2004
Taschenbuch,
320 Seiten
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