Tage mit P'Nui



„Mai shai tung!“, ruft Nui gerade noch rechtzeitig. Die Verkäuferin reicht mir den Bund Blattgemüse herüber. „Ich hab ihr gesagt, dass du keine Tüte brauchst, du magst das ja nicht mit dem Plastik“, übersetzt Nui. Sie kennt mich. Ich packe das Gemüse in meine Stofftasche. Die Frau, die mir immer meine Flasche mit Sojamilch auffüllt und dann meinen Becher mit Ingwertee, kennt mich auch schon und grüßt. Und die Süßigkeitenverkäuferin daneben winkt mich zu sich und bedeutet mir, heute habe sie auch Klebreis ohne Ei. Es ist ein ganz normaler Abend auf dem Markt.
„Hier, das mit der Kokosmilch drauf solltest du auch unbedingt probieren!“ P’Nui (gesprochen: Pi Nui) hat schon bezahlt und drückt mir das Reisküchlein in die Hand. „Ich werde noch fett deinetwegen“, beschwere ich mich, wie immer. Und wie immer lacht sie nur und meint, ich könne zurück in Deutschland ja Sport treiben. Jetzt muss ich erstmal alles probieren, was Thailand zu bieten hat.


Nui bedeutet „kleine Schwester“, weil sie das zweite Mädchen in der Familie ist (so wie P’Pet „Ente“ heißt, weil seine Eltern fanden, dass sein Babymund Ähnlichkeit mit dem Schnabel einer Ente hatte), und das P steht für „ältere Schwester“ (beziehungsweise „älterer Bruder“). In Thailand spricht man Menschen, die älter oder ranghöher sind als man selbst, mit dieser respektvollen Bezeichnung an. Bei Vielen hier im Zoo ist es schon ein richtiger Bestandteil des Namens geworden, den die Anderen auch im Handykontakt mit einspeichern. Und wenn man einen Namen nicht kennt, kann man die Person immer mit P ansprechen. Inzwischen habe ich die Namen in der Zootierklinik aber drauf, ich habe mich richtig eingelebt – und darf immer mehr. Die beiden Tierarzthelfer, die morgens die stationären Patienten mit dem Blasrohr behandeln, können sich darauf verlassen, dass ich alle Medikamente vorbereitet habe, und so langsam habe ich auch raus, wann geschossen wird und welche Tiere sie einfangen und „normal“ spritzen. Zwischendurch werfen sie mir dann mal eine Herausforderung zu, wie etwa, dass ich in Sekundenschnelle den Tisch freischaufeln muss, aber gleichzeitig weiter Spritzen aufziehe, während ich die Narkose der Antilope überwache. An einem anderen Tag laufen plötzlich zwei neue Gesichter herum – wie sich herausstellt, sind es Tierärztinnen aus dem Dusit Zoo, der vor einigen Monaten geschlossen wurde, und die jetzt hier arbeiten. Und heute haben wir mal eben vier Patienten in einer Stunde durchgezogen: in Narkose gelegt, geimpft, geröntgt, Blut abgenommen, und während noch der Antagonist (also das Medikament zum Aufwachen) gespritzt wurde, hat P’Pet schon das nächste Tier auf den gleichen Behandlungstisch gelegt. Ich muss in diesen Situationen immer blitzschnell mitschreiben, wo die Impfung injiziert wird, welche weiteren Medikamente gegeben werden, Temperatur messen, Atem- und Herzfrequenz auszählen, auf Auffälligkeiten achten und dann flugs hinter die Bleischutzwand hüpfen, wenn geröntgt wird. Es geht dann ziemlich rund, alles muss schnell gehen, und es laufen so viele Leute herum, die Anweisungen rufen, dass man dauernd irgendwem ausweichen muss. Man wächst mit seinen Aufgaben.
Plötzlich ist schon Mittag, Ba Moe, meine Nachbarin, hat mein leckeres Essen für mich bereit gestellt – sie bringt mir jeden Tag meine Lunchbox mit frischen veganen Gerichten wie Kürbis-Curry, gebratenem Lotos oder Tofu-Crumble und dazu täglich ein anderes Obst, in die Klinik – und P’Nui hat irgendetwas für mich zum Probieren dabei: Tapiokaperlen mit salziger Kokosmilch, süßen Klebreis mit Bohnen, Passionsfrucht, frittierte Chili,…
Nachmittags fangen Pet und Lam dann mit dem Kescher Languren aus den Käfigen, damit wir sie entwurmen können. Und nach Feierabend fährt P’Nui mich zum Markt. Inzwischen bin ich Meisterin im freihändigen Roller-Mitfahren, hauptsächlich, weil ich ja mit einem Arm meinen Eistee umklammere und unter dem anderen meine Einkaufstasche voller Bananen, Mangos und Gemüse halte.
Aussicht auf unseren grünen Berg

 Seit zwölf Jahren lebt und arbeitet Nui hier im Khao Keow Open Zoo. Insgesamt wohnen ungefähr 100 Angestellte am Rand des Zoos, fast alle, die hier arbeiten, haben auch eine Wohnung oder ein Haus auf dem Gelände, es ist ein richtiges kleines Dorf. „Ja, es gefällt mir schon“, sagt sie, „aber manchmal sind die Leute dann doch anstrengend, wenn ich schon wieder im Labor aushelfen muss oder so.“ Zwei Tage die Woche arbeitet sie noch in einer kleinen Praxis außerhalb des Zoos. Dr. Dao, die früher auch hier im Zoo gearbeitet hat, kann ihre Hilfe in der erst vor einem Jahr eröffneten Praxis gut gebrauchen. Nach unserem Einkauf auf dem Markt halten wir dort an, es ist ein süßes blaues Häuschen, das richtig tropisch aussieht. Auch Dao hat etwas zu Essen da, das mir sofort angeboten wird, weil es vegan ist. Da gerade keine Patienten da sind, bleibt Zeit, sich ein bisschen zu unterhalten – und dann bittet die Tierärztin Nui, noch zwei Katzen zu impfen. Ob ich mitwill?
Klar! Mit einer umfunktionierten Kameratasche über der Schulter steige ich wieder hinter P’Nui auf den Roller und wir düsen zurück ins Zentrum des Dorfs. An einem Restaurant halten wir an, und während Nui sich mit den Inhabern unterhält, darf ich die beiden Katzen impfen und entwurmen.
Dass wir für so einen ausgiebigen Besuch im Dorf Zeit hatten, verdanke ich dem Regenschauer am Nachmittag. Jetzt sind die Straßen nass und Nui kann nicht im Zoo Mountainbiken – bei all den Hügeln, die wir hier haben, ein angemessenes Hobby. Wenn sie nicht Fahrrad fährt, wandert sie durch unseren großen Park, oder sie geht schwimmen.

Dr. Daos kleine Klinik

An einem anderen Nachmittag trinken wir zusammen Tee in einem Café, dessen Tische alle unterschiedlich sind und unter Bäumen, Bambus und Palmen verstreut stehen. Wir besuchen den wunderschönen Tempel Wat Khao Mai Daeng, wo sie auch von einem Mönch Englisch gelernt hat. Inzwischen hat er das Kloster verlassen, erzählt sie, um ein Leben zu führen „wie du und ich“. Ihre Freundin P’Kai hat sie auch dabei, und während ich den Sonnenuntergang von hier oben genieße, setzen sich die beiden auf die Stufen vor dem Eingang und unterhalten sich in Ruhe. P’Kai ist wie alle Thai sehr um mich bemüht. Beide Frauen haben Angst, dass mir langweilig werden könnte, und als Nui abends mal keine Zeit für mich hat, setzt sie mich bei Kai ab. Die spricht zwar kein Englisch, aber mit meinen drei Thai-Wörtern, wilden Gesten und gegenseitigem Vorspielen von Botschaften aus Google Übersetzer gelingt uns doch eine ziemlich gute Unterhaltung. P’Kai hält natürlich mein Lieblingsessen bereit: Klebreis mit Mango. Dazu gibt es Zuckerrohrsaft, auch mal interessant. Und dann kommen ihr Mann und seine Freunde vom Motocrossfahren zurück, und es entwickelt sich eine spontane Karaoke-Party im Garten.

verwunschenes Café

P’Nui fungiert in der Klinik oft als meine Dolmetscherin, die zwischen mir und den anderen Tierarzthelfern übersetzt oder Nachrichten der Tierärzte an mich weiterleitet. Sie kommuniziert auch für mich mit Ba Moe und macht Vorschläge, welches Gemüse ich vom Markt mitbringen könnte, damit meine Nachbarin daraus etwas kocht.
Und sie nimmt mich mit zum Abendessen in der Mall in Sriracha, wo es einen großen Supermarkt gibt, ein Salatbuffet und Vieles mehr. Dort fällt ihr auf, dass nicht nur meine Tasche, sondern auch mein Geldbeutel aus einem alten Reissack „geupcycled“ ist und erzählt mir von einem Freund, der regelmäßig bei Beach-clean-ups mitmacht und die weichgeschliffenen Glasscherben aufhebt, und sie zu Anhängern an Ketten und Armbändern macht. Das wäre doch was für mich?

Ja, Nui, hat mich verstanden.

Bei P'Kai im Garten

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