762 Kurven bis nach Pai
Pai ist der Ort, an dem
man den ganzen Tag in der Hängematte verbringt und nichts tut, wo man abends
nur noch barfuß herumläuft und frau ohne BH. In Pai passiert eigentlich nichts,
und deshalb kann alles Mögliche geschehen. Pai ist der Ort, an den man kommt,
ohne zu wissen, wie lange man bleibt. Jeden Tag geht man zur Rezeption des
Hostels und verlängert nochmal für eine Nacht. Oder man macht es wie Adrien aus
Belgien, bucht für „mindestens zwei Wochen“ und legt sich dann in die
Hängematte. Jay und Mary, das Paar aus England, wissen nicht mehr so genau, wie
lange sie schon hier sind.
Das Bergdorf im hohen
Norden Thailands wurde irgendwann mal von Hippies entdeckt, thailändischen wie
ausländischen, und irgendwie hat es sich seitdem zu einem kunterbunten
Besuchsmagneten entwickelt. Was macht man in Pai?
Offiziell gibt es da den
atemberaubenden Canyon, Rafting-Touren, den berühmten weißen Buddha,
Höhlenwanderungen und eine bekannte Bambusbrücke.
Aber in Wahrheit kommt
man nach Pai, um in der Hängematte zu liegen.
„Sag mal, Tom, bist du
heute schon mal aufgestanden?“
„Ja, ich hab mir von
nebenan was zu essen geholt! Danach musste ich in eine andere Hängematte.“
„Kann mir mal
irgendjemand Mückenspray zuwerfen, bitte?“
So geht es den ganzen
Tag. Mein persönliches Highlight: „Mary, kannst du mal gucken, ob da eine
Fliege auf meinem Knie sitzt und sie verscheuchen?“
Abends zieht man dann in
die „Walking Street“ los, um sich mit street food vollzustopfen und
handgemachten Schmuck zu kaufen. Man hat sich den Besuchern angepasst: In den
Restaurants gibt es keine Plastikmöbel, und an den meisten Straßenständen gibt
es Papiertüten und Bananenblätter als Verpackung für das Essen und die
Souvenirs. Zum Glück gibt es auch alles in Probierportionen, sodass ich mich
durchprobieren kann, um mich am nächsten Tag für einen Stand zu entscheiden.
Für Veganer ist Pai ein Paradies. Ursprünglich hatte ich für zwei Tage gebucht,
doch obwohl ich letztendlich fünf Tage bleibe, schaffe ich es nicht, alle veganen
Cafés und Restaurants auszuprobieren. Ganz dem Klischee folgend, setze ich mich
mit meinem burmesischen Teeblatt-Salat zu Pu und Ines, um mir einen Dread
verzieren zu lassen, und wir unterhalten uns ein bisschen .Pu stammt aus dem
Süden Thailands und lebt jetzt seit sieben oder acht Jahren in Pai. Seine
Dreadlocks reichen bis zu seinen Oberschenkeln und er verdient sein Geld damit,
Touristen die Haare zu verschönern und mit dem Verkauf selbstgemachten
Haarschmucks und Kleidung. Seine Freundin Ines ist Slowenin und verbringt
jedes Jahr ungefähr sieben Monate in Thailand. Sie stellt Schmuck und Kleidung
her. Die Stoffe sind Reste der Schneidereien im Dorf. Als der Strom in ganz Pai
ausfällt, leuchtet sie mit ihrem Handy meine Haare an, damit Pu weiterarbeiten
kann.
In den nächsten Tagen
liege ich ganz viel lesend in der Hängematte, unterhalte mich mit den anderen
Gästen des Hostels, genieße den Sonnenaufgang beim weißen Buddha und schlendere
durchs Dorf. Vormittags begegnet man hier quasi niemandem. Ich probiere mich
durch die Cafés, die mir Pu empfohlen hat: Earth Tone, Fat Cat, Art in Chai, Om
Garden Café.
Im Earth Tone teile ich
mir einmal einen Smoothie mit der Frau am Nachbartisch, ein andermal setze ich
mich mit einer Stuttgarterin, die momentan in Laos lebt und gleichzeitig mit
mir hier ankommt, zu einem jungen Schweden und einem Schulabbrecher aus
England. In Thailand ist es üblich, dass man sich Essen teilt, dass jeder mit
dem benutzten Löffel nochmal in die Schüssel geht und man aus den Strohhalmen
anderer Leute trinkt, egal, wie gut man sich kennt. In Pai machen das auch die
Ausländer so. Wir probieren alles, was die anderen bestellt haben, während
jeder seine Geschichte erzählt und wie lange er oder sie schon vegan lebt.
Wenn ich vom Mittagessen
wieder ins Hostel zurückkomme, sind die anderen dort wach und haben es vom Bett
bis zur Hängematte geschafft. Gut, dass ich gerade stehe, dann kann ich den
Ventilator anmachen. Ich schaffe es, Toby, den Schotten, der seit einem halben
Jahr in Berlin lebt, zu überreden, dass wir gemeinsam zum Canyon fahren, denn
er hat einen Roller gemietet.
Und abends, als es dunkel
und damit etwas kühler wird (auch hier in den Bergen des hohen Nordens hat es
tagsüber meist zwischen 37 und 41 Grad), werden die Straßen plötzlich voll. Ich
unterhalte mich ein paar Minuten mit Cass, der in einer der Bars arbeitet,
mitten auf der Straße. Die Mopeds müssen eben ausweichen. Beobachte die
barfüßigen Mädchen in kurzen Batikkleidern und die frischtätowierten
achtzehnjährigen Jungs, die wahrscheinlich zum ersten Mal so weit weg von zu
Hause sind. Klassische Touristen, die Sightseeing machen wollen, scheint es in
Pai nicht zu geben, und ich gehöre schon eher zu den älteren Besuchern. Alle,
die älter sind, leben auch schon seit ein paar Jahren hier. Dann lande ich
wieder bei Pu und Ines.
Ins Rabbit Café werfe ich nur einen misstrauischen Blick... |
Art in Chai |
Am nächsten Tag begegne
ich den beiden auch im Earth Tone (ich kann nicht sicher sagen, ob das das
beste vegane Café in Pai ist, aber es ist am nächsten zu meinem Hostel…) und
wir setzen uns an einen Tisch. Mit dabei ist auch Benny aus Hongkong, der
Upcycling-Taschen und Kleidung designed und heute die beiden besucht. Spontan
beschließen wir, uns nachmittags an einem Fluss etwas außerhalb der Stadt
abzukühlen. Auf dem Roller sausen wir zwischen staubtrockenen Reisfeldern über
die Hügel. Am Fluss fühle ich mich wie in den Sommerferien. Touristen sind hier
keine mehr. Eine Gruppe Jugendlicher hat Bier und Musik dabei, weiter
flussaufwärts planschen ein paar Hunde und eine Gruppe junger Mönche in ihren
orangenen Roben.
Foto: Benny Yuen |
Diesen Abend verbringe
ich dann bereits auf der anderen Seite des kleinen Marktstandes meiner neuen
Freunde, wo ich hin und wieder nach dem Preis für eine Kette oder einen Ring
gefragt werde. „Keine Ahnung, ich bin auch nur eine zufriedene Kundin.“
Pai wirbt nicht mit den
umliegenden Naturspektakeln – aber natürlich gibt es neben Kunsthandwerk auch
T-Shirts als Souvenirs zu kaufen. Darauf stehen dann Sachen wie „Enjoy Pailand“
oder „762 Kurven bis nach Pai“. Die dreistündige Fahrt im Minivan von Chiang
Mai hierher ist nichts für schwache Mägen! Es ist immerhin ein Dorf mitten in
den Bergen, wie sollte man herkommen, wenn nicht über die Serpentinen. Aber es
lohnt sich. Man kommt eigentlich nicht her, um etwas zu erleben, aber niemand
will mehr weg. Und ja, ich mag Chiang Mai. Aber wer einmal in Pai war, wird
keine andere Stadt in Thailand mehr so lieben können.
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