Exotische Patienten, ein Markt und eine Dachterrasse
„Kin khao“ – das muss
Silom in seine Übersetzungsapp eingetippt haben (natürlich in Thai, ich kann es
nicht lesen), denn zuerst schlägt Google vor: „Eat rice“. Das bedeutet es ja
auch wörtlich. Tatsächlich bedeutet die Frage aber: „Hast du schon gegessen?“
und das heißt meist so viel wie „Wie geht’s?“ Also immer schön mit Ja
antworten.
Er kämpft weiter mit der
App, denn um halb eins mittags geht es natürlich darum, ob ich meine Pause
schon hatte.
„Do you still eat rice?“,
lautet der nächste Vorschlag.
Silom ist schüchtern,
aber ich gucke ihm über die Schulter und warte geduldig, bis er sich traut, zu
fragen.
„Did you eat me?“
Schließlich gibt er auf
und wendet sich wieder dem Patienten zu. Der Tierarzthelfer wird sehr von den
Tierärzten gelobt, er könne jede Tierart perfekt händeln.
Als er das Kaninchen
wieder in die Box gepackt und den Besitzern übergeben hat, startet er einen
letzten Versuch. Doch er geht die Treppe runter. Fast befürchte ich, meine
Chance auf eine Mittagspause verpasst zu haben, aber nach drei Stufen dreht er
sich nochmal um und hält mir sein Handy hin. „Did you eat?“
Ich schüttle den Kopf und
er winkt mir, ihm zu folgen. Wir sammeln Dr. Jane auf, er schnappt sich einen
der Sonnenschirme, die neben dem Eingang stehen und wir gehen los.
Endlich Vitamin D, denke
ich und recke das Gesicht der Sonne entgegen. Es ist dunkel im Premier Exotic
Pet Hospital, in dem ich jetzt mein letztes Praktikum in Thailand mache. Zugeklebte
Fenster, Neonröhren, Klimaanlagen und ein dunkelgraues Treppenhaus. Die halbe
Stunde Mittagspause ist die einzige Zeit, die ich im Freien verbringe, denn ich
wohne auch hier.
Das Büro und die
Intensivstation sind im Erdgeschoss, im zweiten Stock, über eine wirklich
dunkle und nicht sehr einladende Treppe zu erreichen, befinden sich die
Behandlungsräume, der Trinkwasserspender und die Küche, im dritten Stock,
hinter einer Tür mit der Aufschrift „Staff only“ sind die Stationen für Vögel
und Kleinsäuger untergebracht, im vierten Stock gibt es einen kleinen OP, einen
Konferenzraum, die Reptilien und ein paar Vögel – sie stehen einfach auf dem
Flur, die Badezimmertür ist direkt hinter einer Schildkröte. Und ganz oben
wohnen wir: eine Tierärztin, drei Tierarzthelfer, und wir beiden
Praktikantinnen. Oben auf dem Dach werden Pflanzen für Tierfutter angebaut und
die Wäsche getrocknet.
Die Aussicht ist
phänomenal: kleine Wohnhäuser, dazwischen Bäume, und in der Ferne Bangkok im
Dunst.
Das Tollste an Prawet,
dem Distrikt, in dem sich die Klinik befindet, ist der kleine Markt,
siebenhundert Meter die Straße runter. Man geht dorthin tatsächlich zu Fuß,
ungewöhnlich in Thailand. Morgens bekomme ich hier meine Sojamilch, sticky rice
und frisches Obst, alles natürlich unverpackt. Mittags lasse ich mir von den
beiden Mädels ganz hinten meine Dosen mal mit Frühlingsrollen, mal mit
frittierten Bananen, mal mit Süßkartoffelbällchen auffüllen und auch die beiden
Küchen, bei denen ich abwechselnd esse (je nachdem, ob ich Pad Thai oder Reis
mit Gemüse haben will), kennen mich schon. Heute konnte mir das Ehepaar, das
die Küche betreibt, kein Wechselgeld geben – ich esse also morgen wieder Reis,
denn sie schulden mir noch zehn Baht. So ist das hier.
Man bestellt, nimmt sich
kostenloses Trinkwasser, setzt sich an einen der Tische in der Mitte oder geht
Gemüse und Obst einkaufen. Irgendwann wird einem dann das Essen gebracht, und
jede der kleinen Küchen holt sich ihre eigenen Teller und Tassen wieder. Hinter
manchen großen Töpfen werden Babys in ihren Wiegen geschaukelt, Kinder laufen
herum und holen Gemüsenachschub für ihre kochenden Eltern. Ich könnte den
ganzen Tag hier sitzen und das bunte Treiben beobachten, die Katzen unter den
Tischen, die Kinder, die in dieser geschäftigen Welt voller verschiedener
Essensdüfte aufwachsen. Ich bin fasziniert von dem gut geölten System. Hier
geht nichts verloren.
Aber wir müssen ja wieder
zurück in die Klinik.
Es wird in Schichten
gearbeitet: die Tierarzthelfer, die im Haus wohnen, füttern die Tiere schon um
halb sieben und legen sich dann nochmal hin, von acht bis achtzehn Uhr geht die
erste Schicht, von elf bis einundzwanzig Uhr die zweite. So lange haben wir
geöffnet. Die thailändischen Praktikanten müssen zwölf Stunden am Tag hier
sein, obwohl sie nicht hier wohnen dürfen, aber wir Ausländer können uns unsere
Zeit zum Glück etwas mehr selbst einteilen.
Und zum Beispiel schon um
halb sieben Abendessen kochen. Richtig gelesen, zum ersten Mal habe ich eine
Herdplatte!
Dr. Top guckt in die
Pfanne. „Was kocht ihr?“
Sarah und ich wechseln
einen Blick. Alles, was auf dem Markt lecker aussah und nicht in Plastik
eingewickelt war…
„Aha, DIY food!“, stellt
der Tierarzt fest. Ja, so kann man es ausdrücken.
Machen wir hier
eigentlich auch was außer essen?
Ja, keine Sorge. Tupfer
falten, zum Beispiel.
Morgens stelle ich immer
erstmal die Reptilien auf den Balkon – sie dürfen dann in der Sonne sitzen oder
auch ein bisschen frei herumlaufen, da der Balkon sie sicher vor einem Sturz
bewahrt.
Dann bekommt die
nierenkranke Katze ihre Infusion, Kaninchen werden gepäppelt. Wir machen im Bad
Flugtests mit den Tauben und lassen die, die sicher fliegen können, von der
Dachterrasse aus frei. Ich gucke nach unten: alle Lichter aus. Na dann, Tupfer
falten.
Wieder nach unten gucken:
ein Totenkopfäffchen ist zum Check-up da, ein Vogelbesitzer will wissen, welches
Geschlecht sein Grünwangen-Rotschwanzsittich hat (man muss dafür einen Gentest
machen), ein Kaninchen kommt zur Zahnbehandlung, ein Präriehund zum Impfen.
Allzu viel los ist nicht, also bleibt Zeit, die Bartagamen zu beobachten und
mit dem verhaltensgestörten Kakadu Chiro zu spielen. Der Kontakt zu Menschen
tue ihm gut, wurde mir am ersten Tag gesagt. Sobald ich den Käfig öffne, hüpft
er auf meinen Arm. Da fühlt er sich wohl.
An unserem vorletzten Tag
scheint Dr. Golf ein ernstes Gespräch mit den Tierärzten zu führen, denn
plötzlich machen sie viel weniger selbst, sie rufen uns, um die Medikamente
aufzuziehen, lassen uns diese sogar den Patienten geben und denken sich
Programm für uns aus: Wir üben Blutentnahme und Zahnuntersuchung beim Kaninchen,
das Handling verschiedener Reptilien, und untersuchen Vögel und nehmen ihnen
Blut ab.
Oder wir bewachen ein
Kaninchen, das im Gehege Freilauf hat.
Wenn gar nichts mehr
geht, falten wir wieder Tupfer. Das scheint in Thailand die ultimative
Beschäftigung für Praktikanten zu sein. Irgendjemand muss es ja machen.
Und dann gibt es
natürlich wieder Snacks. Scharfe Bananenchips zum Beispiel, die auf Thai
„Bananen Bremse kaputt“ heißen. Weil man einfach nicht mit dem Essen aufhören kann.
Das Geisterhaus der Klinik. Wir haben die Geister um Erlaubnis gebeten, hier wohnen zu dürfen, und bisher scheinen sie uns wohlgesonnen. |
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