Eine isländische Kurzgeschichte
Probieren wir mal etwas
Anderes.
Wir erleben gerade so
viel, dass ich kaum Zeit zum Schreiben finde. Und die Landschaften sind so
spannend, dass man sich selbst auf den langen Autofahrten nicht langweilt.
Trotzdem haben wir irgendwann mal „Ich packe meinen Koffer“ gespielt, irgendwo zwischen
den isländischen Westfjorden und Borgarnes. Genau, wir sind auf Island. Und es
ist fantastisch!
Die Dinge, die wir in
unseren virtuellen Koffer packten, wurden so groß, dass es schließlich „Ich
packe in meinen Kofferraum“ wurde. Und weil ich nun mal schreiben muss, egal
was, egal wo, machte ich aus dem Gerümpel eine Geschichte, während meine Mutter
kochte. Kennt ihr noch die Reizwortgeschichten aus der Schule? Es sind
bestimmte Begriffe vorgegeben, und die muss man einbauen. Ich hatte sogar noch
einen zeitlichen Rahmen (bis das Essen fertig ist). Und was mache ich jetzt
damit? Tja, ich habe eine kleine Leserschaft. Euch. Bitte schön: eine
isländische Reizwortgeschichte.
Wir waren noch nicht weit
hinter Keflavík gewesen, als bereits das vordere Nummernschild heruntergefallen
war. Es war so verbogen, dass wir es nicht wieder anbringen konnten, also
klemmte es jetzt im Kofferraum zwischen dem Ersatzreifen und Michaels
Golfcaddy.
Heli wickelte sich ihr
Handtuch um den Kopf, als wir an Reykjavik vorbeifuhren und starrte weiterhin
aus dem Fenster. „Da liegt eine Haarbürste am Straßenrand“, bemerkte sie, als
wir an der Ampel warteten. Birgit schüttelte den Kopf. „Das ist doch keine
Haarbürste! Es ist eine Kardätsche!“
Michael versuchte vom
Fahrersitz aus, einen Blick auf die Bürste zu erhaschen. „So eine für Pferde,
meinst du?“
Die Ampel schaltete auf
grün und wir fuhren weiter. Birgit nickte, aber Michael sah es nicht, weil er sich
bereits wieder auf den Verkehr konzentrierte. Noch war die Landschaft nicht
besonders spektakulär, sodass ich mich wieder meinem Gesteinsbestimmungsbuch
zuwandte. Ich musste schließlich auf die Felsen vorbereitet sein, die wir in
den nächsten Tagen zu sehen bekommen würden. Erika wäre enttäuscht, wenn ich
ihr nicht alles genau beschreiben könnte bei meiner Rückkehr. Sie war auch
diejenige gewesen, die mich dazu gebracht hatte, einen Wasserkocher
einzupacken. Damit ich in jedem Hotelzimmer und an jedem Campingplatz auch ganz
sicher heißes Wasser hätte, um ihren Brombeerblättertee trinken zu können.
Heli gab einen Ton von
sich und ich guckte kurz auf, ob sie wohl etwas Spannendes gesehen hatte. Um
uns herum: Gras, Hügel, Vorstadt-Industriegebäude. Und ich schleppte also einen
Wasserkocher mit mir herum. Durch Island. Das verdammte Ding nahm die Hälfte
meines Koffers ein.
Ich blätterte um. Und
dann hatte ich mir auch die Bergschuhe von Erika geliehen, die natürlich nur
Größe 39 hatten. Obwohl ich 41 brauchte.
Ich seufzte leise, aber
da wusste ich noch nicht, dass diese Reise weitaus schlimmer werden würde, als
ich annahm.
Drei Stunden später.
Birgits Hände begannen zu
zittern, sodass ihr die Schachtel mit der Zahnseide aus der Hand fiel. Heli
starrte auf den blutigen Teppich, den Blumenstrauß immer noch in der Hand.
Michael senkte den Golfschläger. Niemand sagte irgendetwas. Ich bemerkte, dass
die Milch überfloss, so viel hatte ich bereits in die Flasche mit dem Pancakemix
gegossen. Ich wusste, ich musste damit aufhören, die Milchtüte abstellen, aber
meine Hände gehorchten nicht. Wir starrten alle nur Michael und den blutigen
Teppich an, und Michael starrte den Farbeimer an.
Gelb. Es musste auch
ausgerechnet gelb sein. Ich hasste gelb. Michael wusste das.
Wie hatte das alles
passieren können?
Dann ging plötzlich der
Rauchmelder los. Der Toaster qualmte und stank. Langsam kehrte das Gefühl in
meine Hände zurück und ich stellte die leere Milchtüte ab, warf ein
Geschirrtuch auf die Anrichte, um die Milch aufzusaugen, und zog den Stecker
des Toasters. Michael stellte den Golfschläger zurück in den Farbeimer, ging
zum Fenster und öffnete es. Der Rauchmelder piepste. Birgit atmete schwer.
Und die beiden kleinen,
süßen Lämmchen begannen zu blöken.
„Also nochmal von vorne“,
sagte Heli schließlich. „Du hast WAS gemacht?“
Wir hatten Michael am
erstbesten Golfplatz abgesetzt und waren zur Jugendherberge weitergefahren, um
uns einzurichten. Die Mädchen ins Viererzimmer, wir Jungs ins Zehnerzimmer,
aber jetzt, außerhalb der Saison und hier im Niemandsland eine Stunde außerhalb
der Hauptstadt hatten wir auch das für uns. Rundherum waren nur Geröll und
Moos. Und Schafe. Den Golfplatz konnte man sogar vom Männerwaschraum aus sehen.
Island nervte mich jetzt schon. Warum hatte Erika mich auch geschickt? Hätte
sie ihre blöde Konferenz nicht verschieben können?
Ich wusste selbst, dass
das nicht so einfach war, und dass der Trip mit ihren beiden besten Freundinnen
ihr sehr wichtig war. Aber stattdessen war ich nun mal hier, und ich hatte
keine Ahnung von Gestein, verstand mich nicht mit Birgit (das wusste Erika natürlich)
und dass ich Michael hatte mitnehmen dürfen, war mein einziger Lichtblick
gewesen. Bis er festgestellt hatte, dass diese schroffe, lebensfeindliche Insel
offenbar ein Golferparadies war, sodass ich jetzt nicht einmal meinen großen
Bruder als Unterstützung gegen die Geologinnen hatte.
Wir hatten uns in der
Küche der Herberge versammelt und etwas Essbares gesucht. Hatten wir natürlich
nicht dran gedacht, als wir an Supermärkten und Kiosken vorbeigekommen waren.
Es gab hier noch eine kleine Tüte Reis, zwei alte Scheiben Toast in einer Tüte
mit dänischer Aufschrift, eine Menge Knoblauchöl und eine Flasche Pancakemix.
Dazu die Tüte Milch, die Heli sich am Flughafen gekauft hatte und meinen
Brombeerblättertee. Ich versuchte, den Anderen möglichst viel davon abzugeben,
aber natürlich konnte ich nicht laut sagen, dass ich das Zeug ekelhaft fand,
Birgit und Heli hätten das sofort an Erika weitergegeben. Und die wäre
enttäuscht von mir. Mal wieder. Seit fünf Jahren lebte sie schließlich bereits
in dem Glauben, dass ich ihre Kräutertees mochte. Und ihr zuhörte, wenn sie
begeistert von Steinen erzählte.
„Wisst ihr, was jetzt
perfekt wäre?“, hatte Heli mit Blick auf die leeren Schränke gesagt. „Almdudler.
Am besten eine ganze Badewanne voll.“
Birgit und ich wechselten
einen Blick. Das taten wir nicht oft, wie gesagt, ich mochte sie nicht, und
vermutlich beruhte das auf Gegenseitigkeit. Aber Helis seltsame Angewohnheiten
waren ein Moment für so einen Blick. Heli trank nie etwas Normales. Milch.
Almdudler. In Restaurants fragte sie nach heißem Wasser und löste darin eine
Messerspitze voll Salz auf. Und natürlich den Brombeerblättertee. Sie selbst
bevorzugte allerdings eine Mischung mit Birkenblättern.
Und dann war Michael
zurückgekommen. Richtig aufgeregt war er gewesen.
„Die Lämmer mitgebracht“,
wiederholte er jetzt und zeigte mit dem gelben Golfschläger auf die Tierchen,
die immer noch auf dem blutverschmierten Teppich standen und verwirrt durch die
Gegend blökten. Ich ließ das Chaos am Herd zurück und schob mich am
Gebäudetrockner vorbei, der so dämlich mitten im Raum stand. Dabei war er nicht
mal mehr zu gebrauchen. Der Typ an der Rezeption hatte gesagt, sein Chef sammle
manchmal gerne alte Baugeräte ein, und solange er nicht wusste, wohin damit,
lagerte er sie irgendwo in der Herberge. Er selbst hatte gerade Steigbügel mit
bunten Bändchen umwickelt, ein Geschenk für seine Verlobte, wie er uns stolz
erklärte, obwohl es außer Birgit niemanden interessierte. Die Isländer waren
doch alle bekloppt. Naja, bei den Verhältnissen, in denen sie leben mussten,
vermutlich kein Wunder.
„Und einen Eimer Farbe
geklaut“, stellte ich fest.
Michael nickte. „Stand
alles nebeneinander, mehrere Farbeimer und die Lämmer, neben dem
Wasserkraftwerk hinter dem dritten Loch.“
„Und warum wolltest du
deine Golfschläger ausgerechnet gelb anmalen?“, fragte ich entgeistert.
Michael zuckte die
Schultern.
„Um dich zu ärgern“,
stellte Heli nüchtern fest und hob Birgits Zahnseide auf. Da stand sie nun also,
einen Blumenstrauß in der rechten und eine Packung Zahnseide in der linken Hand
und kam sich genauso blöd vor wie ich, der einen Wasserkocher im Koffer hatte
und zu kleine Wanderschuhe.
´“Aber warum zur Hölle hast
du die beiden Lämmer mitgebracht?“, hakte Birgit nach, während sie einen
Zahnstocher aus der Hosentasche zog. Sie war wirklich gut ausgestattet.
Zahnarzttochter eben.
„Sie waren so allein“,
verteidigte sich Michael.
„Ohne ihre Mutter“,
bemerkte ich trocken.
Michael nickte.
Birgit rekonstruierte: „Du
hast sie in den Golfcaddy gesetzt, nachdem du alle Schläger bis auf diesen in
der kleinen Hütte verstaut hast und sie mit in die Jugendherberge gebracht.“
Er nickte wieder.
„Also sind jetzt deine
Schläger im Golfclub, aber der Teppich fehlt“, fasste ich zusammen. „Aber wo
ist die Schafsmutter?“
„Hinter dem Haus, weil
sie aus dem Teppich gerutscht ist, als ich sie die Treppe hochziehen wollte“,
wiederholte Michael, was er bereits vor ein paar Minuten gesagt hatte. Endlich
wurde der Rauchmelder wieder still.
„Du bist vollkommen
bescheuert“, schimpfte Heli leise. „Jetzt liegt ein totes Schaf hinter der Herberge
und der Teppich voller Blut ist in der Küche. Was hast du dir überhaupt
gedacht, wie das mit den Lämmern weitergehen soll?"
Michael schwieg.
Da ich nun wirklich nicht
wusste, was ich tun sollte, drehte ich mich um, quetschte mich wieder an dem
blöden Trockner vorbei und verschloss die Flasche mit dem Pancakemix.
Schüttelte. Schaltete den Herd ein.
Erika mochte es nicht,
wenn ich mich so ungesund ernährte.
Birgit pulte mit dem
Zahnstocher in ihrem Mund herum, schließlich sagte sie: „Wir müssen die Beweismittel
verschwinden lassen, bevor irgendjemand etwas bemerkt, ist doch klar. Die
Lämmer wieder nach draußen, irgendein Schaf wird sie schon adoptieren. Den
Teppich verbrennen. Und die dämlichen Golfschläger wieder einpacken.
Meinetwegen kannst du sie alle gelb anmalen.“
Ich verdrehte die Augen
und goss den Teig in die Pfanne. Erst später fiel mir auf, dass Öl noch ganz
sinnvoll gewesen wäre. Der Teig klebte in der Pfanne und brannte an. Mein
Bruder hatte ein Schaf erschlagen. Mit einem Golfschläger. Und es in einen
geklauten Teppich eingewickelt, wie er es bei How to get away with murder gesehen hatte. Und ich musste
Brombeerblättertee trinken. Birgit nahm Heli die Zahnseide aus der Hand und
polierte ihre Zahnzwischenräume. In der Pfanne verkohlte Pfannkuchenteig.
Wir waren auf Island, um
Steine anzugucken. Ich hatte keine Ahnung von Gestein. Meine geliehenen Schuhe
waren zwei Nummern zu klein.
Und jetzt hatten wir zu allem
Übel noch ein totes Schaf in einem
blutigen Teppich im Kofferraum.
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