Schafsinseln
18 Inseln. Auf denen
Dörfer manchmal nur aus einem oder zwei Häusern bestehen und auf den Dächern
Gras wächst. Und überall sind Schafe. Das bedeutet der Name „Färöer“ ja auch:
Schafsinseln. Streymoy ist die größte, auch die mit der Hauptstadt Tórshavn und
den meisten Einwohnern. Eine Insel weiter östlich liegt Vágar, wo sich der
internationale Flughafen befindet. Dank Tunneln unter dem Meer kann man bequem
mit dem Bus zwischen Hauptstadt und Flughafen hin und her fahren. Auf Vágar sind
wir auch, als wir feststellen: am leichtesten erkundet man die Inseln per
Anhalter.
„Ach, ihr arbeitet in der
Tierklinik in Tórshavn?“, wiederholt der Herr am Steuer, was wir ihm erzählt
haben. „Dann kennt ihr ja Kristina! Sie ist mit dem Neffen meiner Frau
verheiratet.“
Tag drei und wir sind
mitten drin im „jeder kennt jeden“.
Warum sind wir hier, auf
nebeligen Inseln, wo nichts wächst außer Gras für die Schafe, Kartoffeln und
Rhabarber, wo es 200 Regentage im Jahr gibt und die Hügel eigentlich immer
nebelverhangen sind?
Zum Praktikum, mal
wieder. Bergur, der Inhaber des Djóralæknatænastan,
ist nicht nur unser Chef, sondern auch unser Gastgeber. Nur noch eines seiner
drei Kinder wohnt zu Hause, daher sei Platz genug für uns, hatte er gesagt.
Nach der Busfahrt vom Flughafen hat er uns sogar aus der Innenstadt abgeholt.
Erkannt hat er uns auch gleich, klar, wir sind ja längst Facebook-Freunde. Und
nachdem wir seiner Frau Mildrid und Tochter Bára vorgestellt waren ging es direkt
gemeinsam aufs Stadtfest. In der alten Druckerei, wo heute Künstler an
verschiedenen Projekten arbeiten, sitzt gerade eine Familie beim Abendessen.
Der alte Buchladen mit dem Gras auf dem Dach enthält inzwischen auch ein
beliebtes Café, und als wir durch den Hintereingang gehen, singt direkt vor
unseren Nasen ein Chor.
der alte Buchladen |
ein Orchester vor dem Rathaus |
Die Färöer sind
vermutlich noch musikalischer als die Isländer. Auf die 13000 Einwohner
Tórshavns kommen 30 Chöre und die kleine Nation hat ein eigenes
Symphonieorchester.
An unserem zweiten
Wochenende sind wir deshalb gleich zu zwei musikalischen Veranstaltungen
eingeladen: Nachbarstochter Kristina ist vom Musikstudium in Dänemark
zurückgekehrt und wird mit einer Party willkommen geheißen. Ihre Freunde von
„Die Færøische Polkaband“ geben ein kleines Wohnzimmerkonzert.
Und am Samstagabend
dürfen wir mit ins Haus des Nordens (Norðurlandahúsið), dem Kulturzentrum der
Färöer-Inseln, wo die Tórshavna Big Band auftritt. Kristina ist natürlich
Mitglied, sie spielt Saxophon.
In unserer Freizeit
erkunden wir die Inseln, immer der Sonne nach. Am Samstag gibt es nur einen
sonnigen Ort auf Streymoy: Vestmanna. Also dort, wo wir hingefahren sind. In
Tórshavn ist der Nebel so dicht, dass man nicht weiter als bis zum Nachbarshaus
sehen kann, und auch die Berge, die wir eigentlich besteigen wollten, sind hinter
dicken Wolken versteckt. Schuld ist der Ostwind, sagt Mildrid. Bei Nordwind ist
es in Tórshavn klar und sonnig. Dann besuchen wir in aller Ruhe das
Nationalmuseum, wo man unter anderem ein altes Bauernhaus besichtigen kann, Die
Schuhe müssen hier, wie in normalen Wohnhäusern, am Eingang stehen bleiben. Die
Museumsangestellte erklärt uns, dass für die Grasdächer moderne Dächer immer
erst verstärkt werden müssen, weil das Gras so viel schwerer ist als
Dachziegel. Warum überhaupt Gras auf dem Dach? „Dann kann man den Regen nicht
hören.“
Ja, der Rasen auf dem Dach muss auch gemäht werden |
Unser Gespräch schwenkt
um zur Energieversorgung. Da die Inseln zu weit weg von allen anderen Ländern
sind, kommt aller Strom auch von hier, hauptsächlich aus Wasserkraft, doch in
letzter Zeit werden auch vermehrt Windräder aufgestellt. Die Dame scheint sich
zu freuen, sich mit uns unterhalten zu können. Als wir unsere Schuhe wieder
anhaben, hat sie sich bereits wieder dem violetten Schal zugewandt, den sie
momentan strickt.
Rudern ist der offizielle
Nationalsport der Färöer, aber Stricken könnte es auch sein. Kein Bus, in dem
nicht irgendeine strickende Frau sitzt. Kein Strickladen, in dem nicht auch
hinter der Kasse gerade an einem Pullover oder Socken gearbeitet wird. Fußball
ist ebenfalls ein beliebtes Hobby, das Stadion kann man von unserer Straße aus
sehen. Bergur guckt die Spiele oft beim Abendessen im Fernsehen an, Nachbar
Kristjan, der hauptberuflich auf einem Frachter arbeitet, macht dort oft
Security. Das Spiel Färöer gegen Spanien geht 1:4 aus, doch die Färöer wirken
glücklich, die Spanier enttäuscht. Die färöischen Fans jubeln sogar mehr als
die der Sieger. Dabei sein ist alles.
Die Busse innerhalb der
Hauptstadt sind kostenlos, in den landesweiten zahlt man mit Karte. Die Inseln
untereinander sind mit Tunneln oder Fähren verbunden, es gibt auch einen
linienmäßigen Helikopterverkehr. Wir lassen uns nach Nólsoy übersetzen, wo die
Sonne öfter scheint als in Tórshavn. Es gibt ein winzig kleines Dorf mit bunten
Häusern, einen Leuchtturm und einen Berg, an dem Schafe grasen.
Nólsoy von oben |
Natürlich klappern wir
auch die wichtigsten färöischen Sehenswürdigkeiten ab: das kleine
Regierungsviertel, den Hafen, und auf der Insel Vágar den Wasserfall bei
Gásadalur.
Auf der Rückfahrt erzählt
mir Martin, der Künstler, der uns vom Straßenrand aufgelesen hat, dass er ein
bisschen über den Walfang aufklären möchte. Wir sollten unbedingt mal
getrocknetes Walfleisch probieren, und natürlich auch das frisch zubereitete.
Doch beides sei eher ein Essen für besondere Anlässe. In ausländischen Medien kursierten
viele schlecht recherchierte Nachrichten. Die meisten Wale, die gefangen würde,
seien zu nah an die Küste gekommen und aller Wahrscheinlichkeit nach im offenen
Meer nicht zum Überleben fähig – wenn sie kerngesund wären, dann wären sie ja
nicht an den Strand geschwommen. Ungefähr zehn Mal im Jahr werden Wale in die
Buchten getrieben, 20 bis hundert Stück. So kommt man auf 200 bis 1000 Wale im
Jahr, die die Bevölkerung ernähren und nicht exportiert werden.
Weder Wale noch Schafe
zählen in der Klinik zu unseren regelmäßigen Patienten. Die meisten Schäfer
geben ungern viel Geld aus und lassen sich lieber kostenlos am Telefon beraten.
Kristina erklärt, dass viele der Schäfer sehr gut darin sind, die Exkremente
der Schafe zu beurteilen, sie lässt sie die Temperatur messen, Herz und Lunge
abhören. Wenn einen eine dreistündige Fährfahrt vom Tierarzt trennt, muss man
sich anders organisieren als in anderen Ländern.
Am Dienstag sind die
Milchkühe auf Sandoy dran. Um halb acht nehmen wir die Fähre und klappern dann
sechs Bauernhöfe ab, um Kälber zu enthornen und Trächtgkeitsuntersuchungen
durchzuführen. Und Border-Collie-Welpen zu impfen.
„Bekommen die auch
regelmäßige Klauenpflege?“, frage ich, als mir die viel zu langen Klauen der
meisten Kühe auffallen. In Dänemark ist eine Mindestzeit auf der Weide
vorgeschrieben, wenn Rinder in Anbindehaltung gehalten werden, doch Regelungen
wie diese gelten hier nicht. Kühe sind zu schwer für den weichen Boden der
Färöer-Inseln. In Ställen sind die Klauen immer schlechter dran als im
natürlichen Lebensraum.
„Klar“, antwortet Bergur.
„Der Klauenpfleger sollte mit der gleichen Fähre wie wir kommen, aber sie war
schon voll, deshalb muss er jetzt auf die nächste warten.“
Bevor es für uns wieder
nach Streymoy zurückgeht, haben wir sogar noch Zeit für eine kleine
Inselrundfahrt.
Und dann kommen die
Katzen und Hunde. Impfen, Kastrationen, Durchfälle behandeln, Krallen
schneiden. Im Vergleich zu einer deutschen Klinik ist nicht viel los, aber wir
Praktikanten dürfen viel machen. Und wenn gerade keine Patienten da sind, üben
wir an Bananen nähen, lassen uns die Youtube-Videos von verwandten Musikern der
Tierärzte vorspielen oder auf der großen Landkarte an der Wand zeigen, welche
Orte es sich noch zu besuchen lohnt. Kristina, die am Wochenende Rufbereitschaft
hat, empfiehlt uns die Insel Mykines, wo eine Papageientaucher-Kolonie lebt.
Doch weder für die Fähre
noch den Helikopter sind noch Tickets übrig.
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