Schwarze Strände und pflanzenfressende Tierärzte
„Es sind einfach zu viele
Touristen!“, beschwert sich Barbora mal wieder beim Mittagessen. „Die halten
dann mitten auf der Straße an, um ein Foto zu machen. Alle fahren neunzig, aber
plötzlich stoppt vor dir ein Auto und es wird aus dem Fenster fotografiert!“
Katrin schließt sich ihr
an: „Mein Mann ist für die Genehmigungen für geologische Forschungsprojekte
zuständig. Und er ist enorm genervt von den Touristen, die einfach überall
gehen oder fahren und die Natur zerstören.“
Wir beiden Praktikanten
beugen uns tiefer über unsere Teller und essen weiter, aber offenbar sehen uns
die Tierärzte und Assistentinnen nicht als zwei dieser nervigen Touristen an.
„Es ging einfach zu schnell“, meint Hrund. „Von 500.000 zu über vier Millionen
jährlichen Besuchern in nur fünfzehn Jahren!“ Und dann, ohne Pause, fragt sie
uns, wo wir schon überall waren. „Oh, die Westfjorde, ja, das ist es wirklich
am schönsten!“ Sie grinst. „Meine Familie kommt von dort.“
Barbora hasst nicht nur
die Autos, die einfach auf den Straßen anhalten, sondern findet es auch
schwierig, bezahlbaren Wohnraum zu finden. „Es werden einfach nur noch Hotels
und Airbnbs gebaut, wo sollen wir denn noch leben?“
Íris hat besonders wenig
für asiatische Touristen übrig, die ihrer Meinung nach alle gleich sind. „Ich
hab im Stadtzentrum gearbeitet, da hatte ich oft Kontakt zu denen. Mein Gott,
stellen die vielleicht blöde Fragen! Sie geben auch unglaublich viel Geld aus,
die haben null Gefühl für unsere Währung! Und sie reden einen immer auf
Chinesisch an. Wenn ich das nicht verstehe, wiederholen sie es einfach nochmal
lauter.“ Sie schüttelt den Kopf. „Alter, egal, wie laut du sprichst, ich kann
immer noch kein Chinesisch!“
Ihre liebste Anekdote
kommt zur Sprache, als diskutiert wird, welche Schwimmbäder wir besuchen
sollten und wohin wir am Wochenende fahren könnten: „Der berühmte schwarze
Strand… Es sind überall Warnschilder, aber so, wie die Asiaten nicht wissen,
wie man in Island Auto fährt und es trotzdem tun, so ignorieren sie auch die
Schilder. Die Sneaker Waves sind echt gefährliche Wellen, die ganz plötzlich
richtig weit auf den Strand gehen… Es sind dort so viele asiatische Touristen
ertrunken, dass wir den Strand Chinese Takeaway nennen!“
Da fahren wir also hin.
Die Hunde der Angestellten sind natürlich am ärmsten dran... |
Nach einer Woche voller
Zahnreinigungen und –extraktionen, Wunden, die wir nähen durften und OPs, die
wir sehen konnten, mieten wir ein Auto und fahren zu Islands Südküste hinunter.
Das Auto ist klein und nicht für die gleichen Schotterwege geeignet wie der
Jeep letzte Woche, aber wir bleiben einfach auf der Ringroad. Route Nummer
eins, auch als Islands einzige Autobahn bezeichnet.
Ja, das hier sind
definitiv nicht die einsamen Westfjorde. Beim Wasserfall Seljalandsfoss finden
wir kaum einen Parkplatz – und bezahlen müssen wir den auch noch. Es gibt
Toiletten, einen kleinen Souvenirshop und natürlich einen Kiosk. Dann machen
wir uns mit hunderten weiterer Besucher auf den Weg zum Wasserfall, der
tatsächlich wunderschön ist. Man kann dahinter vorbeigehen und jetzt wissen wir
endlich, warum wir wasserdichte Jacken eingepackt haben!
Wir überspringen ein paar
weitere Hotspots mit vollen Parkplätzen und schaffen es an einem Tag bis zum
Jökulsárlón. Dieser See am Fuß eines Gletschers ist spätestens seit „James Bond
007: Stirb an einem anderen Tag“ berühmt, wo hier eine Verfolgungsjagd auf dem
Eis gedreht wurde. Eisberge treiben auf dem See und langsam über einen sehr
kurzen Fluss ins nur 500 Meter entfernte Meer.
Am Sonntagmorgen wandern
wir im Skaftafell-Nationalpark zum Svartifoss, einem Wasserfall umgeben von
schwarzem Fels. Die Natur hat hier ein weiteres Wunder vollbracht: Als die Lava
des Vulkans abkühlte, formte sie exakt achteckige Steinsäulen. Durch diese
surreale Landschaft laufen wir also, noch bevor die Touristenmassen auftauchen.
Wie auf dem Hinweg auch fahren wir am berühmt-berüchtigten Eyjafjallajökull
vorbei und durch das Städtchen Hveragerdi, das mit so vielen heißen Quellen
gesegnet ist, dass sogar die Restaurants damit werben, dass direkt darüber
gekocht wird, nicht auf einem normalen Herd.
Jökulsárlón |
Svartifoss |
Am liebsten würde ich (in
besagter Touristenmanier) bei jedem Berg, jeder Klippe, jedem Lavafeld und
jeder Steinwüste anhalten. Fotos machen und der Stille zuhören. Aber auf die
Art würden wir ja nie irgendwo ankommen.
Während wir durch moos-
und flechtenbewachsene Felsenlandschaften wandern und mit dem Fahrrad Reitwege
kreuzen, bekomme ich plötzlich wieder einen Ohrwurm eines Liedes, an das ich
mich aus Schulzeiten erinnere: „Das Leben ist wie eine große Autobahn, lass uns
nicht lange überlegen, sondern losfahren. Wohin ist egal, und wo lang werden
wir sehen…“ Die Richtung ändern kann man immer noch, wenn es einem nicht
gefällt. Das hat mir auch Snæfy in der Klinik gesagt: Nicht darüber grübeln,
sondern machen. Sie selbst hat erst Film in Dänemark studiert, ist dann ihrem
Freund nach England gefolgt, wo sie, nach der Arbeit auf einer Farm, schließlich
Tierarzthelferin wurde. Ein ganz normaler isländischer Lebenslauf.
Nach einem Kaiserschnitt
bei einer Maine Coon Katze (die sieben neugeborenen Kätzchen sahen noch nicht
süß aus!), Cavalier King Charles Spaniels mit ihren typischen Herzproblemen, Französischen
Bulldoggen mit Atemproblemen (wie immer… und zusätzlich, O-Ton Tove: „Ich habe
noch nie eine Französische Bulldogge mit gesunder Wirbelsäule gesehen.“),
Katzenkastrationen in einem Tierheim und zwei Katzen mit Diabetes schaffen wir
es tatsächlich in zwei der Schwimmbäder, die uns von den Tierärzten empfohlen
wurden. Das Nautholsvik ist nicht nur ein Freibad, sondern auch eine
Sehenswürdigkeit. Während alle Schwimmbäder in Island Freibäder sind, ist
dieses hier auch noch direkt am Strand. Windgeschützt, der Sonne zugewandt, mit
Aussicht über den Fjord. Das Warmwasser aus den beiden Hotpots wärmt auch eine
kleine Bucht… und sogar ich kann hier im Meer baden. Nur in dieser kleinen
Bucht natürlich, während über unseren Köpfen die Flugzeuge zum und vom
Reykjavíker Stadtflughafen dröhnen. Zurück über den Strand muss ich dann
rennen, die Luft ist weiterhin nur zwölf Grad warm. Die richtig coolen Leute
übrigens schwimmen außerhalb des gewärmten Beckens im Fjord. Mit Badekappe,
Neoprenhandschuhen und ganz normalem Badeanzug.
Ólöf zeigt uns die
häufigsten Herzerkrankungen und ein paar spannende Fälle in Röntgen- und
Ultraschallbildern und auch die anderen Tierärzte versuchen, uns in den letzten
Tagen noch so viel wie möglich beizubringen. Zwei Wochen hier waren viel zu
kurz und auch von Island haben wir nur einen kleinen ersten Eindruck bekommen.
Aber fest steht: Wenn man an einem Ort arbeitet, lernt man ihn besser kennen,
als wenn man den ausgetretenen Touristenpfaden folgt. Und über Kleintiermedizin
habe ich jedenfalls eine ganze Menge gelernt.
Ich bin mir nicht sicher,
ob dies ein Text über unser Praktikum ist, über Sightseeing in Island oder über
Tourismus (es gäbe über alle drei Themen noch so viel zu sagen…). Aber welches
davon es auch ist, ich möchte noch ein paar Worte über meine Erfahrungen als
Veganerin in Island verlieren.
Auf vielen Reiseblogs
hatte ich gelesen, es sei quasi unmöglich, in Island zero-waste und vegan zu
leben. Und auch HappyCow kennt außerhalb Reykjavíks keine Restaurants.
Zero-Waste ist hier wohl
tatsächlich unmöglich, da ja alles importiert werden muss. Es gibt zwar das
eine oder andere Gemüse unverpackt im Supermarkt, angebaut in den
Geothermal-Gewächshäusern hier auf der Insel, aber mehr auch nicht. Der
Unverpackt-Laden in der Innenstadt hat nicht lange überlebt.
Aber sich vegan ernähren?
Nichts leichter als das! Wer für das Klima vegan ist, sollte es hier vielleicht
sein lassen. Schaf und Fisch sind hier vermutlich die klimafreundlichsten
Lebensmittel. Angebaut werden kann ohne Gewächshaus nur Gerste und Kartoffeln.
Ja, das ist vegan |
Doch abgesehen vom
Transport spricht nichts dagegen, sich komplett vegan zu ernähren. Die
Supermärkte bieten alles, was das Veganer-Herz begehrt: Oumph, ein
Fleischersatz, der um Längen besser ist als Tofu und Seitan, veganes
Lakritzeis, veganer Schokoaufstrich, veganer Frischkäse…
Die isländische
Veganergesellschaft hat eine eigene App entwickelt, die alle Restaurants im
Land aufzählt, die mindestens ein Gericht als vegan auf der Speisekarte
ausgezeichnet haben. Es gibt zwei rein vegane Restaurants, beide in Reykjavík:
Gló vegan und Veganaes. Ich habe sogar irgendwann aufgehört, in der App
nachzugucken, weil es in so gut wie jedem Restaurant etwas Veganes gibt oder etwas
gut abgewandelt werden kann.
Sich in Island vegan zu
ernähren ist inzwischen also wirklich kein Problem mehr!
Ach ja, habe ich die
Sirius-Schokolade erwähnt? Fair Trade Kakao, fertiggestellt in Island, sogar
45% noch ohne Milch, palmölfrei und vor allem: nur in Papier verpackt, immer
drei Tafeln in einer Packung.
https://www.veganisland.is/ (die wunderbare App)
https://www.glo.is/ (gehobene Küche in bester Lage: Laugavegur)
https://www.facebook.com/veganaesRVK/ (ich liebe diesen Ort mit Bar, veganer Küche und
Livebands, einfach, weil er mich an meinen Lieblingsplatz in Tartu erinnert)
Als wir am letzten Tag
das Dýraspítalinn verlassen, scheint die Sonne immer noch. Da wir nochmal
Wohnort wechseln mussten, leben wir gerade in der Innenstadt und Barbora hat
angeboten, uns nach Hause zu fahren. Ich halte das Gesicht in die Sonne. Meine
Finger kribbeln, ich muss schreiben. Und in meinem Knochen spüre ich auch so
ein Ziehen: Das nächste Abenteuer wartet. Es wird auf einem winzigen Flughafen
mit nicht gerade ebener Landebahn beginnen, in einem Land mit 51.000
Einwohnern, von denen ungefähr 40% in der Hauptstadt leben…
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