Wie heißt diese Insel?


Nicht die Aussicht auf Koltur

Bergur deutet mal wieder auf die Insel. „Wie heiß die da?“ Das fragt er jedes Mal, wenn sie in Sicht kommt.
„Koltur!“, antworten wir im Chor. „Und dahinter ist Hestur!“
„Fohlen“ und „Pferd“. Auf Koltur lebt außer Schafen niemand mehr. Das „Wie heißt diese Insel“-Spiel ist ebenso zur Routine geworden wie „Wer untersucht den nächsten Hund“. Wir erkunden Orte, deren Namen wir selten aussprechen können und uns manchmal nicht einmal merken, wir untersuchen und impfen, Hunde kommen zur Kastration und Schafen müssen die Hörner abgesägt werden, wenn sie so lang sind, dass sie bis in die Backen wachsen.
Meistens ist es morgens so neblig, dass man kaum bis zum Fußballstadion sehen kann, aber es wird immer klarer im Lauf des Tages. Die Baustelle, die zum Hotel werden soll, kommt in Sicht, dann der Rest Tórshavns, das Meer, schließlich Nólsoy und die Windräder auf der anderen Seite des großen Fjords von Streymoy.
Ja, die Aussicht von unserem Arbeitsplatz könnte nicht besser sein!

Nolsoy, wie immer im Sonnenschein

Einen Hund gibt es allerdings, mit neurologischen Symptomen, dessen Fall nicht so routinemäßig einfach ist. Er kommt schon länger, das Problem ist bekannt. Ein Kavalier King Charles Spaniel. Diese Rasse kommt, wie alle brachyzephalen (also die mit den ach so süßen kurzen Nasen und Köpfen) mit klassischen Erkrankungen. Kleine Geldmaschinen für Tierärzte, aber natürlich nicht so gut für den Hund. Die Kavalier King Charles Spaniels haben entweder Herzprobleme oder etwas mit dem zentralen Nervensystem. Sehr häufig ist das von einer Zyste des Rückenmarks verursacht, in der Halswirbelsäule. Syringomyelie nennen wir das. Diagnostik? CT. Therapie? OP.
Leichter gesagt als getan. Denn wo bekommt der Patient jetzt einen CT-Scan her? Dafür müsste er schon nach Dänemark. Und ohne genaue Diagnose natürlich auch keine OP.

Die Tierklinik

„Wir sind in quasi allem 50 Jahre hinterher“, sagt Kristina. Die Art und Weise, auf die Menschen und Tiere zusammenleben, zum Beispiel. Die Kuhställe mögen aus Tierwohl-Sicht nicht die besten sein, aber anders geht es nicht. Wenn der Hund die Schafe nicht gut treibt, wird er ins Ausland verkauft. Wer einen verletzten Vogel am Straßenrand sieht, dreht ihm den Hals um, um ihn so schnell wie möglich vom Leid zu erlösen.
Es gibt kein Tierheim in diesem Land.
Oft setzen die Leute ihre Katzen einfach aus, etwa, wenn sie in den Urlaub fahren und niemanden haben, der sich um die Tiere kümmern kann. Als Straßenkatzen gibt es hier kein Überleben, also zieht es sie in die Berge, wo sie die Vogel- und Hasenpopulation bedrohen. Es gibt keine großen Raubtiere hier, keine Füchse, keine Marder. Es gibt Vögel und Schafe und Hasen und sie haben alle keine natürlichen Feinde hier. Die Katzen stören das Gleichgewicht. Aber wenn sie erstmal so wild sind, taugen sie auch nicht mehr zum Stubentiger. Wohin also mit ihnen?
Sie werden in eine der beiden Tierkliniken gebracht. Und wenn sie keinen Mikrochip haben, der es uns ermöglichen würde, den Besitzer ausfindig zu machen?
Müssen sie sterben.
Das klingt grausam, ich weiß. Ich habe auch in diesen zwei Wochen zu viele Tode erlebt. Aber so ist die Realität im Leben als Tierarzt. Ich kann sie ja nicht alle selbst mit nach Hause nehmen. Momentan gibt es keine zufriedenstellende Lösung. Außer jemand möchte seine Haustiersammlung um ungefähr 20 Tiere pro Woche vergrößern?

Als der Katzenfänger wieder weg ist, beginnen wir eine Diskussion über Euthanasie. In Deutschland braucht man laut Tierschutzgesetz einen „vernünftigen Grund“, um ein Tier zu töten. Aber was bedeutet „vernünftig“? Eine Krankheit oder Verletzung, die das Leben unerträglich macht. Lebensmittelproduktion. In Ausnahmefällen auch Tiere, die von den Besitzern nicht gehandelt werden können, wie zum Beispiel dieser besonders aggressive Hund vor etwas mehr als einem Jahr, der einen Menschen getötet hatte. Tierarzt und Besitzer müssen also diesen Grund diskutieren, und was das Beste für das Tier ist.
Bei Bergur gilt eine andere Devise: wenn ein Tierbesitzer kommt, um sein Tier einschläfern zu lassen, wird er schon einen guten Grund haben. Es ist schwer genug, auch ohne dass der Tierarzt nachbohrt.
Ich will hier jetzt keine tiefgreifenden ethischen Diskussionen auslösen. Es gehört leider nun mal zu unserem Alltag als Tierärzte. Weiter versuchen oder das Tier erlösen? Wie spendet man dem Besitzer am besten Trost? Und wie kommt man selbst mit dem Euthanasieren klar?
Glücklicherweise gibt es mehr Impfungen als Tode. Wir dürfen untersuchen, spritzen, röntgen, uns mit den Leuten unterhalten, Hauterkrankungen von Chinchillas recherchieren und bei Operationen assistieren. Mein persönliches Highlight ist die Zahn-OP, die ich selbst durchführen darf. Johannes macht die Anästhesie, und ich putze, poliere und ziehe Zähne.

Wir kommen also viel zum Üben und lernen viel, was in Deutschland anders gemacht wird, oft allein dadurch, dass die Färöer nun mal Inseln sind. Es wird hier beispielsweise nur gegen Tollwut geimpft, wenn das Tier das Land verlässt, da es hier noch nie Tollwut gab.
Es gibt auch keinen einzigen bestätigten Fall von Tetanus im ganzen Land.
Richtig gelesen. Gegen diese furchtbare Krankheit, vor der alle anderen Länder so Angst haben, muss hier nicht geimpft werden.


Ja, das Gras auf den Dächern wird auch gemäht

Und nach der Arbeit ist es noch lange hell, sodass wir in den Hügeln joggen können, ausgedehnte Spaziergänge machen, oder in der Sonne sitzen.
Wenn sie denn scheint. Zwar haben wir in den zwei Wochen hier nur zwei Regentage, aber ob es sonnig, bewölkt, oder neblig wird, weiß man vorher nie. Meist alles drei an einem Tag. Wie in Island wird es auch hier nur kurz dunkel, aber doch schon ein bisschen mehr als noch weiter nördlich, ungefähr drei Stunden pro Nacht.

Es ist Mittsommer. Nicht, dass es hier besonders gefeiert wird, aber der 21. Juni ist der längste Tag des Jahres, und dieses Jahr fällt der auf einen Freitag. Was viele Leute machen, sagt Bergur: auf einen Berg steigen. Letztes Jahr haben sie auf dem höchsten Berg Streymoys sogar eine Würstchenbude aufgestellt, die mit dem Hubschrauber hochgebracht wurde, damit die Menschen da oben mitten in der Nacht etwas zu essen hatten.
Da es windig und weit weg ist, begnügen wir uns mit dem Berg hinter dem Haus, von wo man auch eine tolle Aussicht auf die umliegenden Inseln (Eysturoy, Hestur, Koltur und Nólsoy) hat, viel Wind und ein Schauspiel aus unglaublich schnell vorbeiziehenden Wolken.
Eins fehlt uns allerdings noch, bevor wir abreisen: Klaksvík. „Was wollt ihr denn da?“, fragt die Nachbarin etwas entgeistert. Naja, es ist die zweitgrößte Stadt des Landes und im Norden der Färöer, wo wir noch nicht waren. Wenn wir von dort aus loswandern, werden wir auch nochmal neue, gigantische Ausblicke haben.
Wir sind wieder per Anhalter unterwegs, und lernen dabei noch ein bisschen mehr über das kleine Land. „Daumen raus“ scheint unserer Generation hier nicht bekannt zu sein. Aber ältere Leute freuen sich. Lachen, winken uns zu, oder machen eine entschuldigende Geste, weil das Auto schon voll ist.
Und selbst an einer winzigen Kreuzung mitten im Nirgendwo auf Eysturoy hält schon nach einer Viertelstunde ein Auto für uns an. Klaksvík ist der Ort, an dem man aus dem Tunnel zwischen Eysturoy und Borðoy herauskommt.
Auf der anderen Seite der Bergkette liegt noch ein Dorf, Árnafjørdur. Bis 1963 musste man über den Berg wandern, um es zu erreichen, erst seit dann gibt es einen Tunnel. Wir folgen diesem alten Pfad (mit Autos war es auf diesem Weg vor 1963 nicht möglich), umgeben von Schafen, und genießen die fantastische Aussicht. 


Die Färöer-Inseln wurden nicht ohne Grund von Reisejournalisten zu den schönsten Inseln der Welt gekürt.
Wie so oft ist es schwer zu beschreiben. Was ist so toll an Nebel, Wind und Schafen und Bergen, auf denen man nur Gras und Felsen sieht?
Was auch immer es ist, es stimmt. Es ist atemberaubend schön.



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