Quarantäne - Life in Estonia Teil 1
Vier Monate hat es gedauert, bis ich eine Antwort auf meine Bewerbung bekommen habe. Inzwischen habe ich als selbstständige Tierärztin in einer Kleintierpraxis gearbeitet (man glaubt es kaum), hatte ein sehr erfolgreiches Vorstellungsgespräch, bin einen Halbmarathon gelaufen und habe im Gästezimmer meiner Eltern gewohnt.
Und dann geht alles ganz schnell. Zusage der Uni in Estland, meine Zusage, dass ich das immer noch machen will. „Wann soll ich denn jetzt anfangen?“ frage ich, und überlege, wie ich den Umzug am besten gestalte. „Wann bist du denn da?“
So läuft das also. Na dann. Die Infektionszahl in Deutschland ist wieder gestiegen, Litauen macht die Grenzen für Deutsche dicht, mit dem Auto zu fahren, wie ich es mir so schön vorgestellt habe, scheidet also aus. Ich entscheide mich also schweren Herzen dafür, zu fliegen und meine Sachen hinterherzuschicken. Eine Wohnung ist überraschend schnell gefunden, mein gesamter Besitz ist in zehn Bananenkisten, meinem alten Koffer und meinem treuen Rucksack verstaut. Meine Mutter organisiert eine Überraschungs-Abschiedsparty (die nicht wirklich dem geltenden Infektionsschutzgesetz entspricht), ich rücke meine Stoffmaske zurecht und schon geht es los. Genau zwei Wochen nach der Zusage lande ich in Tallinn. Man muss jetzt Einreisedokumente ausfüllen, durch die Passkontrolle. Einen Covid-19-Test über sich ergehen lassen. Die Uni hat einen Transport für mich organisiert, also steige ich statt in den üblichen Bus in einen Van, in dem ich durch eine gewissenhaft festgeklebte Plastikplane vom Fahrer getrennt bin. Morgen schon werde ich mein Testergebnis bekommen. Wenn es negativ ist, darf ich meine Quarantäne nach einer Woche verlassen und mein neues Leben beginnen.
Spät abends beziehe ich meine Wohnung im malerischen Karlova-Viertel, bestelle Pizza, die vor der Wohnungstür abgestellt werden muss. Mit meiner Vermieterin werde ich über Facebook kommunizieren, wo ich ihr zum Beispiel einmal monatlich den Wasserzählerstand für die Nebenkostenabrechnung abfotografieren soll.
Mein Testergebnis ist negativ. Jetzt habe ich sieben Tage Zeit, um meinen Koffer auszupacken, die Hunde zu beobachten, die auf der Straße vor meinem Haus spazieren gehen, und Meisterin im Essen bestellen zu werden. Der Bioladen liefert mir Putzmittel und Hafermilch vor die Wohnungstür, eins meiner veganen Lieblingsrestaurants bringt das Essen per Fahrradkurier, und ein guter Freund stellt mir Kartoffeln und Paprika vor die Tür.
Es ist mein erster Besuch in Estland, bei dem ich nicht am ersten Abend Freunde treffe. Das erste Mal, dass ich nicht so schnell wie möglich meiner Stammkneipe einen Besuch abstatte, weil da immer jemand ist, den ich kenne. Eigentlich dachte ich ja, es gäbe genug zu tun. Aber schon nach 22 Stunden fühle ich mich zum ersten Mal einsam.
Nach ein paar Tagen voller Langeweile, in denen ich die Hunde und ihre Besitzer ziemlich gut „kennen lerne“, Sport treibe und lese, bringe ich den Mut auf, die Nachbarn nach deren WLAN-Passwort zu fragen. Ich werfe einen Zettel in den Briefkasten und wenige Stunden später klopft der Nachbar aus Nummer 6 an meiner Tür. Sein Netzwerk ist nach der estnischen Zentrumspartei benannt. Als ich kurz darauf endlich mein eigenes Internet bekomme, nenne ich es „Rohelised“ – Die Grünen.
Eine Woche nach dem ersten Test darf ich zum ersten Mal nach draußen – um zum Testcenter zu gehen. Vier Jahre, nachdem ich zum ersten Mal diese Straßen entlanggelaufen bin… Kein Dach über mir, nur der Himmel! Frische Luft nicht nur durchs Fenster, sondern überall um mich herum! Ich werde mal wieder erinnert, dass Estland auf Platz drei der europäischen Länder mit der besten urbanen Luftqualität steht.
Am Dienstagmorgen ist das Ergebnis bereits da: wieder negativ. Ich darf zur Arbeit gehen. Mein neues Leben beginnt…
AntwortenLöschenHi Marina, schön von dir zu lesen. Es fühlt sich dann gar nicht so weit weg an. Liebe Grüße aus Kirchdorf.